LANDTAG STEIERMARK
XV. GESETZGEBUNGSPERIODE


TOP 3

EZ/OZ 1034/5

Schriftlicher Bericht

Ausschuss: Verfassung

Betreff:
Willkürliche Zuständigkeiten für Berufungen in der Landesvollziehung.


zu:


EZ/OZ 1034/5

Schriftlicher Bericht

Ausschuss: Verfassung

Betreff:
Willkürliche Zuständigkeiten für Berufungen in der Landesvollziehung


zu:


  • 1034/1, Willkürliche Zuständigkeiten für Berufungen in der Landesvollziehung (Selbstständiger Antrag)


Der Ausschuss "Verfassung" hat in seinen Sitzungen vom 06.02.2007 und 26.06.2007 über den oben angeführten Gegenstand die Beratungen durchgeführt.

In der Ausschusssitzung des Landtages am 6. Februar 2007 wurde der Beschluss gefasst, die Landesregierung um Stellungnahme zum Antrag betreffend "Willkürliche Zuständigkeiten für Berufungen in der Landesvollziehung", Einl. Zahl 1034/1 unter Einbeziehung einer Stellungnahme des UVS und des Verfassungsdienstes  zu ersuchen.

Dieser Antrag verfolgt
1. die Einsetzung eines Unterausschusses "zum Zwecke der rechtlichen Regelung nachvollziehbarer Kompetenzzuweisungen für Berufungen in der Landesvollziehung (zwischen Landesregierung und UVS)" und
2. die Aufforderung an die Landesregierung
- zum einen an die Bundesregierung heranzutreten und "von dieser einzufordern, in Bundesgesetzen (wie z. B. im Fremden-, Gewerbe- und Abfallwirtschaftsrecht) nachvollziehbare Kompetenzzuweisungen für Berufungen vorzunehmen" und
- zum anderen "im Rahmen der Landeshauptleutekonferenz eine länderübergreifende Initiative zur Schaffung nachvollziehbarer Kompetenzzuweisungen im Berufungsverfahren in die Wege zu leiten".

Auf die Wiedergabe der Stellungnahme des UVS wird verzichtet, weil die unter I. und II. angeführten Stellungnahmen auf diese ohnehin eingehen bzw. deren Inhalt widerlegen.

I.
Der Verfassungsdienst hat zum Antrag und unter Berücksichtigung der Stellungnahme des UVS folgende Stellungnahme abgegeben:

1. Die UVS wurden mit der B-VG-Novelle 1988 (BGBl. Nr. 685) geschaffen. Erklärtes Ziel war die Einrichtung von Behörden, die dem Gerichtsbegriff des Art. 6 MRK entsprechen. Insbesondere sollte sichergestellt werden, dass in Verwaltungsstrafsachen sowie in Zivilsachen unabhängige und unparteiische, auf Gesetz beruhende Gerichte (Tribunale) entscheiden.
 
Die Aufgaben der UVS sind in Art. 129a Abs. 1 B-VG enumerativ und abschließend aufgezählt. Sie entscheiden nach
  • Z. 1 als Berufungsbehörde in Verwaltungsstrafsachen (ausgenommen sind nur Finanzstrafsachen des Bundes),
  • Z. 2 über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt,
  • Z. 3 in sonstigen Angelegenheiten, die ihnen durch Bundes- oder Landesgesetze zugewiesen werden und nach
  • Z. 4 gegen Säumnis der Verwaltung in bestimmten Fällen.
 
Durch die Bestimmung des Art. 129a Abs. 1 Z. 3 B-VG sollte der einfache Gesetzgeber ermächtigt werden, die Zuständigkeit der UVS in Verwaltungsangelegenheiten zu begründen, die nach Auffassung der Straßburger Instanzen Zivilsachen (civil rights) betreffen. Der Bundesgesetzgeber hat von dieser Ermächtigung auch zu dem Zweck Gebrauch gemacht, den UVS nicht nur die Entscheidung über civil rights, sondern auch über sonstige Verwaltungsangelegenheiten zu übertragen. Der Landtag Steiermark hat von dieser Ermächtigung lange Zeit keinen Gebrauch gemacht. Erst mit dem Steiermärkischen Verwaltungsreformgesetz 2005 wurden Zuständigkeiten des UVS zur Entscheidung über Berufungen in zahlreichen Verwaltungsangelegenheiten begründet.

2. Das Steiermärkische Verwaltungsreformgesetz 2005, LGBl. Nr. 78, ist das Ergebnis eines von Bund, den Ländern und den Gemeinden gemeinsam getragenen Projektes zur Verwaltungsmodernisierung. Die Zielvorstellungen dieser Reformbemühungen waren:
 
  • Die Bezirksverwaltungsbehörden sollen - insbesondere im Anlagenbereich - die primär zuständige Verwaltungsbehörde sein, wodurch für die BürgerInnen die Wege verkürzt und die Aufwendungen minimiert werden.
  • Alle für ein Vorhaben erforderlichen behördlichen Genehmigungen sollen im Interesse der Verfahrensbeschleunigung in einem gemeinsamen Verfahren und in einem Bescheid zusammengefasst werden (Verfahrenskonzentration, "one-stop-shop"-Prinzip).
  • Über Berufungen gegen erstinstanzliche Bescheide soll in zahlreichen Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung und der Landesverwaltung der Unabhängige Verwaltungssenat entscheiden.
 
In diesem Sinn sieht das Verwaltungsreformgesetz des Bundes 2001, BGBl. I Nr. 65/2002, in zahlreichen Angelegenheiten der Bundesverwaltung die Zuständigkeitskonzentration in erster Instanz bei den Bezirksverwaltungsbehörden vor und überträgt gleichzeitig die Zuständigkeit zur Entscheidung über Berufungen gegen erstinstanzliche Bescheide an die Unabhängigen Verwaltungssenate der Länder.
 
Angeregt durch die Verwaltungsreform auf Bundesebene wurde auch in der Steiermark Einvernehmen darüber erzielt, diesem Weg zu folgen. Das Steiermärkische Verwaltungsreformgesetz 2005 trägt diesen Zielsetzungen Rechnung und wurde nach umfangreichen Vorarbeiten im Rahmen einer Projektgruppe von der Landesregierung und dann vom Landtag Steiermark einstimmig beschlossen.

Hinsichtlich der hier maßgeblichen Frage nach der Verteilung der Zuständigkeiten an den UVS und an die Landesregierung zur Entscheidung über Berufungen gegen erstinstanzliche Bescheide sei hervorgehoben, dass dem UVS dort Aufgaben übertragen wurden, wo es primär oder ausschließlich um Rechtskontrolle geht, nicht aber in jenen Fällen, in denen Ermessensentscheidungen zu treffen, unbestimmte Gesetzesbegriffe zu interpretieren oder Interessensabwägungen vorzunehmen sind. Nach Ansicht des Verfassungsdienstes ist die Begründung des vorliegenden Antrags, nämlich dass die vom Gesetzgeber getroffenen Zuständigkeitsregelungen mehr oder weniger willkürlich wären, somit nicht nachvollziehbar.
 
Es kann auch die Ansicht des UVS, dass der sachliche Hintergrund der Kompetenzzuweisungen völlig unklar sei, nicht geteilt werden. Der Gesetzgeber habe - so führt der UVS aus - bei der Zuweisung von Kompetenzen an den UVS nicht nur vordergründig die Einsparung von Verwaltungskosten im Auge gehabt, sondern nur dem Art. 6 EMRK gerecht werden wollen. Dabei sei der Gesetzgeber völlig inkonsequent geblieben. Bei diesen Behauptungen übersieht oder verschweigt der UVS den Umstand, dass der Gesetzgeber nicht bloß solche Angelegenheiten dem UVS zur Entscheidung übertragen wollte, die civil rights betreffen, sondern darüber hinaus auch viele sonstige Angelegenheiten, wofür die oben angeführten Gründe maßgeblich waren. Auch bleibt der UVS eine Begründung für seine Ansicht schuldig, welche Angelegenheiten des Jagd- und Fischereirechts sowie des Naturschutzgesetzes civil rights betreffen, die unzulässigerweise nicht dem UVS übertragen worden wären.

Nach Ansicht des UVS hat es der Landtag verabsäumt, durch das Landesverwaltungsreformgesetz 2004 eine umfassende und sachlich richtige Neuregelung der Behördenzuständigkeit insgesamt und des Instanzenzuges im Besonderen zu treffen. Daran anschließend stellt der UVS Überlegungen an, die seiner Ansicht nach maßgeblich für das Gesetz waren, wie beispielsweise die Befürchtung der politischen Verwaltung, Einfluss, Spielraum und Personal zu verlieren, wobei auf die Bedürfnisse der Bevölkerung überhaupt nicht Bedacht genommen worden sei. Hier stellt sich die Frage, woher der UVS über die Motive der Landesregierung und des Landesgesetzgebers so genau Bescheid weiß. In den Gesetzesmaterialien ist diesbezüglich überhaupt nichts zu finden. Die Aussagen des UVS sind als rein spekulativ zu qualifizieren.

Maßgeblich für die Aufteilung der Zuständigkeiten auf UVS und Landesregierung waren ganz andere Gründe, nämlich wie oben dargelegt, die Überzeugung und der Wille, dass rechtspolitische Entscheidungen, z. B. Interessensabwägungen, von der dem Landtag gegenüber verantwortlichen Landesregierung, und nicht von einem weisungsunabhängigen Organ getroffen werden sollen.

3. Unzutreffend ist auch die Behauptung im ursprünglichen Antrag, dass die zwischen der Landesregierung und dem UVS aufgeteilten Zuständigkeiten zur Entscheidung über Berufungen für rechtsuchende Bürgerinnen und Bürger verwirrend wären und im Berufungsverfahren negative Folgen haben könnten. Nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 sind nämlich Berufungen immer - ganz gleich, welche Behörde über die Berufung entscheidet - bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Überdies enthält jeder Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung, bei der verpflichtend und ausdrücklich anzugeben ist, bei welcher Behörde das Rechtsmittel einzubringen ist.
 
Zur Äußerung des UVS, dass es der Gesetzgeber in vielen Fällen vermissen lässt, in einem eigenen Paragraphen die Behördenzuständigkeiten zu regeln und die Behörden, insbesondere aber die Normunterworfenen, daher im Einzelfall das gesamte Gesetz durchsehen müssten, um zu eruieren, welche Behörde in erster und welche in zweiter Instanz zuständig ist, ist Folgendes zu entgegnen: Zur Entscheidung in erster Instanz sind in den allermeisten Angelegenheiten die Bezirksverwaltungsbehörden zuständig. In vergleichsweise sehr wenigen Fällen ist aus ganz bestimmten Gründen die Landesregierung in erster Instanz zuständig. Ferner sind in bestimmten Angelegenheiten in erster Instanz Sonderbehörden zuständig, wie z. B. die Grundverkehrsbezirkskommissionen oder - aus bundesverfassungsrechtlich vorgegebenen und zwingenden Gründen - die Gemeindebehörden oder andere Sonderbehörden, wie z. B. die Agrarbehörden.

Der Umstand, dass in erster Instanz unterschiedliche Behörden entscheiden, hat also jeweils ganz bestimmte, sachlich gerechtfertigte und in weiten Bereichen durch die österreichische Bundesverfassung vorgegebene Gründe. Dasselbe gilt für Zuständigkeiten in der Berufungsinstanz. Es ist daher unvermeidbar, dass die BürgerInnen das jeweilige Gesetz im Hinblick auf die Behördenzuständigkeiten lesen müssen.

Zur Äußerung des UVS, dass nicht beurteilt werden könne, ob es auch zu Fehlvorlagen an die Landesregierung und zur Verletzung eines gesetzlichen Richters dadurch gekommen ist, dass diese ihre mangelnde Zuständigkeit wahrgenommen hat, ist anzumerken, dass auch diese Aussage spekulativ ist. Ohne irgendeinen Anhaltspunkt zu liefern, wird der Landesregierung unterstellt, dass sie möglicherweise unzuständigkeitshalber Bescheide erlassen hätte. Dem Verfassungsdienst ist seit dem Inkrafttreten des Landesverwaltungsreformgesetzes kein Fall bekannt, in dem ein Bescheid der Landesregierung vom Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufgehoben worden wäre.

Im Übrigen stimmt es nicht, dass die Behördenzuständigkeiten in sehr vielen Gesetzen unübersichtlich geregelt sind. Es mag sein, dass da oder dort Zuständigkeitsregelungen nicht in einem Paragrafen geregelt sind, was freilich vermieden werden soll. Gerade aus diesem Grund gibt es im Legistischen Handbuch für das Land Steiermark diesbezügliche Vorgaben. Zum anderen geht es im Hinblick auf den vorliegenden selbstständigen Antrag um etwas ganz anderes, nämlich um die Kritik, dass unterschiedliche Instanzenzüge für die Bürgerinnen und Bürger negative Folgen haben könnten, wenn eine Berufung bei der falschen Behörde eingebracht wird.

Wie erwähnt, muss in jedem Bescheid in der Rechtsmittelbelehrung zwingend und präzise angegeben werden, bei welcher Behörde das Rechtsmittel einzubringen ist, nämlich bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat. Keine Bürgerin / Kein Bürger muss daher das Gesetz durchlesen, wenn sie / er wissen will, bei welcher Behörde das Rechtsmittel einzubringen ist.

Der Umstand, dass die UVS als Berufungsbehörden in Strafsachen sowie über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt entscheiden, was nach Auffassung der Antragsteller das Problem verwirrender Kompetenzregelungen verschärft, ist durch die EMRK und durch die Bundesverfassung vorgegeben.

Schließlich kann dem im ursprünglichen Antrag ins Treffen geführten und vom UVS vorgebrachten Argument nicht gefolgt werden, wonach der Vorbehalt zur Ausübung von Ermessensentscheidungen durch die Landesregierung nicht gerechtfertigt wäre, weil die Landesregierung ohnedies genauso wie der UVS Ermessen nur im Sinn des Gesetzes ausüben könne. Dabei wird übersehen, dass unter Ermessen im Sinn der Bundesverfassung ein Freiraum der Behörde zu verstehen ist, bei ihrer Entscheidung zwischen mehreren Lösungen zu wählen. Genau diese Wahl zwischen mehreren rechtsrichtigen Lösungen will sich die Landesregierung (den Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend das Landesverwaltungsreformgesetz zufolge) aus rechtspolitischen Gründen vorbehalten und nicht der Entscheidung durch ein weisungsunabhängiges Organ überlassen. Völlig inakzeptabel ist die Tendenz der Aussage des UVS, dass ein faires Verfahren nur im Verfahren vor dem UVS gewährleistet werden könne. Dies impliziert, dass die Verfahren bei der Landesregierung von vornherein unfair wären.

Dem Hinweis des UVS auf seine Personalkapazitäten und der Anmerkung, dass die Zahl der Senatsmitglieder lediglich um zwei aufgestockt worden sei, während beim Amt der Landesregierung die übertragenen Materien zumindest von sieben JuristInnen vollzogen würden, ist entgegen zu halten, dass der UVS übersieht, dass die Landesregierung mit Hilfe ihres Geschäftsapparates nicht nur die Aufgaben einer Berufungsbehörde, sondern auch die Aufgaben einer sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde, also Leitungsbefugnisse, insbesondere Aufsichtsbefugnisse sowie eine Reihe sonstiger Aufgaben, z. B. die Legistik, auszuüben hat. Diese Aufgaben der Landesregierung müssen nach wie vor - unbeschadet der Zuständigkeit des UVS als Berufungsbehörde - ausgeübt werden.

II.
Die Landesregierung vertritt unter Berücksichtigung der eingeholten Stellungnahmen folgende Auffassung:
 
Es ist legitim, dass einzelne Zuständigkeiten der Landesregierung als Berufungsbehörde kritisch gesehen oder hinterfragt werden können. Es kann aber der Auffassung nicht beigepflichtet werden, dass die im Steiermärkischen Verwaltungsreformgesetz geregelten Zuständigkeiten insgesamt unklar, unsachlich oder sogar willkürlich und für die Bürgerinnen und Bürger nachteilig wären.
 
Dasselbe gilt für das Verwaltungsreformgesetz des Bundes und die Verwaltungsreformgesetze der Länder, die insgesamt aufeinander abgestimmt sind. Aus diesem Grund kann der ursprüngliche Antrag, an die Bundesregierung und an die Landeshauptleutekonferenz mit dem Anliegen heranzutreten, die Kompetenzzuweisungen für Berufungen auch im Bund und bei den anderen Ländern neu zu regeln, nicht befürwortet werden.
 
III.
Generell ist anzumerken, dass die Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode zu diesem Bereich vereinbart hat, Landesverwaltungsgerichte zu schaffen.



Es wird daher der

Antrag

gestellt:

Der Landtag wolle beschließen:

Der Bericht des Ausschusses für Verfassung zum Antrag, Einl.Zahl 1034/1, der Abgeordneten Mag. Edith Zitz, Ingrid Lechner-Sonnek und Peter Hagenauer, betreffend "Willkürliche Zuständigkeiten für Berufungen in der Landesvollziehung", wird zur Kenntnis genommen.