LANDTAG STEIERMARK
XV. GESETZGEBUNGSPERIODE


TOP 6

EZ/OZ 1714/6

Schriftlicher Bericht

Ausschuss: Europa

Betreff:
Ausstieg aus EURATOM


zu:


  • 1714/1, Ausstieg aus EURATOM (Selbstständiger Antrag)


Der Ausschuss "Europa" hat in seinen Sitzungen vom 27.11.2007 und 08.04.2008 über den oben angeführten Gegenstand die Beratungen durchgeführt.

Die Abgeordneten Kaltenegger, Dr. Murgg und Ing.in Pacher haben am 14.11.2007 einen Antrag  Einl. Zahl 1714/1 zum Thema Ausstieg aus EURATOM eingebracht, in dem die Steiermärkische Landesregierung aufgefordert wird, die Bundesregierung aufzufordern, im Sinne einer aktiven Anti-Atompolitik den Austritt Österreichs aus EURATOM konsequent zu betreiben. In der Sitzung des Ausschusses für europäische Integration und Entwicklungspolitik am 27.11.2007 wurde die Landesregierung aufgefordert eine Stellungnahme zu diesem Thema abzugeben.

Es liegt nun seitens der Landesregierung folgende Stellungnahme vor:
 
1. Gegenstand des Selbständigen Antrags (Einl.Zahl 1714/1) ist die Forderung eines Austritts Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag.

Begründend wird unter anderem angeführt, dass Österreich aus dem EURATOM-Vertrag aussteigen könne, ohne dass dabei die EU-Mitgliedschaft berührt werde. Dies sei durch verschiedene völkerrechtliche Gutachten bestätigt. Österreich zahle überdies mehr als 40 Millionen Euro jährlich an Fördermittel für die Atomenergie, eine Revision des Vertrags sei wegen des Einstimmigkeitsprinzips nicht zu erwarten.

2. Die Ausgangslage stellt sich wie folgt dar: Gemäß Art. 208 EURATOM-Vertrag ist der Vertrag ausdrücklich auf unbestimmte Dauer abgeschlossen und sieht keine
Kündigungsmöglichkeit vor. Der Vertrag begründet die Europäische Atomgemeinschaft, die eine eigenständige internationale Organisation ist. Sie bildet zusammen mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) einen Teil der Europäischen Union. Österreich ist mit dem Beitritt 1995 gem. Art. 1 des Beitrittsvertrages "Mitglied" der Europäischen Union und "Vertragspartei" der die Union begründenden Verträge.

3. Die drei genannten Gutachten (Universität Salzburg, Universität Linz, Universität Nürnberg) kommen im Wesentlichen zum Ergebnis, eine einseitige Kündigung des EURATOM-Vertrags sei möglich, ohne die EU-Mitgliedschaft an sich zu berühren. 

Sie begründen dies im Wesentlichen mit derselben Argumentation:
Da der EURATOM-Vertrag keine Kündigungsbestimmung enthalte, seien die völkerrechtlichen Bestimmungen über die Beendigung völkerrechtlicher Verträge anwendbar. Dies sei insbesondere die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 bzw. das darin kodifizierte Völkergewohnheitsrecht.

Art. 56 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) regelt den Austritt aus einem völkerrechtlichen Vertrag, der keine Bestimmungen hinsichtlich Beendigung, Kündigung oder Austritt enthält. Nach übereinstimmender Auffassung der Gutachten biete Art. 56 Abs. 1 lit. b WVK eine Grundlage für eine Kündigung des EURATOM-Vertrags. Diese Bestimmung sieht eine Kündigungsmöglichkeit vor, wenn ein Recht auf Kündigung oder Austritt "aus dem Wesen des Vertrages abgeleitet werden kann". Dies sei im Falle des EURATOM-Vertrages zutreffend, da davon ausgegangen wird, dass nur wenige Verträge ihrem Wesen nach unkündbar seien: Friedensverträge, Verträge über Grenzverläufe oder Verträge die auf eine "konstitutionelle" Weiterentwicklung des allgemeinen Völkerrechts abzielen. Der EURATOM-Vertrag falle unter keine dieser Kategorien sondern begründe eine internationale Organisation zur Zusammenarbeit auf einem "wirtschaftlich-technischen" Gebiet. Ergänzend sei auch eine Kündigung gem. Art. 62 Abs. 1 WVK zulässig ("Wegfall der Geschäftsgrundlage"). Demnach seien die Umstände, unter denen der EURATOM-Vertrag geschlossen wurde, heute grundlegend geändert und die mit dem Vertragsschluss verbundenen Erwartungen nicht mehr erfüllbar, was ebenfalls einen Kündigungsgrund darstelle.

Die Einbettung der Europäischen Atomgemeinschaft in die EU sei dabei kein Hindernis. Der EURATOM-Vertrag sei zwar eng mit dem EG-Vertrag und dem EU-Vertrag verbunden, etwa durch gemeinsame Organe, er sei aber dennoch rechtlich selbständig und habe eine eigene Gemeinschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen. Auch folge aus dem Beitritt zur EU im Falle Österreichs (im Gegensatz etwa zu Gründungsstaaten der Europäischen Atomgemeinschaft) nicht die Unmöglichkeit der Kündigung eines Gemeinschaftsvertrages.

4. Die in den Gutachten vertretene Rechtsmeinung ist allerdings nicht unumstritten. Die Gegenmeinung, wonach kein einseitiges Kündigungsrecht hinsichtlich des EURATOM-Vertrags bestehe, argumentiert insbesondere damit, dass die Kündigungsregelungen des Völkerrechts auf diesen Fall nicht anwendbar seien. Insbesondere sei man durch die Gründung einer supranationalen Rechtsgemeinschaft wie der Atomgemeinschaft über das Völkerrecht hinausgegangen und die Mitgliedstaaten seien nur noch "gemeinsam" über die Verträge, auch über deren Kündigung, verfügungsberechtigt (so im Ergebnis zB Schweitzer, in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 312 EG\; Stöger, in: Mayer, Kommentar zu EU- und EG-Vertrag, Art. 312\; Herrnfeld, in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 51 EUV). Ein Austritt eines Mitgliedstaates sei somit nur im Einvernehmen mit den anderen Staaten im Wege einer Änderung der Verträge zulässig.

5. Die Frage ist damit rechtlich nicht vollständig zu klären, da ausdrückliche Regelungen fehlen und eine Lösung über rein rechtliche Aspekte hinausgeht\; eine solche Klärung würde sich somit erst im praktischen Fall ergeben. Dabei sind allerdings jedenfalls politische Erwägungen im Falle von Austrittsbestrebungen eines Mitgliedstaates zusätzlich zu den rechtlichen von Relevanz.

6. Mit dem Vertrag von Lissabon ändert sich an der dargestellten rechtlichen Problematik nichts. Zwar sieht der Vertrag von Lissabon ein ausdrückliches Austrittsrecht aus der EU vor, der Euratom-Vertrag enthält aber weiter keine Bestimmungen über einen Austritt und die Eigenständigkeit der Europäischen Atomgemeinschaft bleibt weiter erhalten.
Dem Vertrag wurde allerdings eine gemeinsame Erklärung von Deutschland, Irland, Ungarn, Österreich und Schweden beigelegt, die eine Regierungskonferenz einberufen wollen, um den EURATOM-Vertrag grundlegend zu überarbeiten.

7. Der Landtag Steiermark hat zu diesem Thema bereits einen Beschluss gefasst: mit Beschluss Nr. 1376 vom 27. April 2004 wurde die Steiermärkische Landesregierung aufgefordert, "an die Bundesregierung heranzutreten und den Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag zu prüfen." Dieser Beschluss wurde im Zuge der Verhandlungen des Konvents über einen europäischen Verfassungsvertrag getroffen bzw. nachdem deutlich wurde, dass im Entwurf des Verfassungsvertrages keine wesentlichen Änderungen am EURATOM-Vertrag zu erwarten waren.
Im Zuge dessen wurde ein Brief an Bundeskanzler Dr. Schüssel gerichtet, in dem der Landtagsbeschluss mitgeteilt wurde.

8. In diesem Zusammenhang darf auch auf kürzlich ergangene ähnlich lautende Beschlüsse anderer Bundesländer hingewiesen werden:

Der Landtag Salzburg hat am 23. Mai 2007 einstimmig gefordert, dass eine grundlegende Überarbeitung des EURATOM-Vertrags binnen drei Jahren mit den Zielen Festlegung verbindlicher Sicherheitsstandards, Senkung der Mittel für EURATOM, Verstärkung der Sicherheitsforschung erfolgen soll\; wenn dies nicht erfolgt, sollen Ausstiegsszenarien geprüft werden.

Der Landtag Oberösterreich hat am 8. November 2007 beschlossen, dass die Bundesregierung aufgefordert werden soll, den Austritt Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag konsequent zu betreiben.

Der Landtag Vorarlberg hat am 9. Mai 2007 einstimmig beschlossen, dass die Bundesregierung aufgefordert werden soll, den Austritt aus EURATOM konsequent zu betreiben, sofern die Revision des EURATOM-Vertrags in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.
 
Aufgrund dieses Landtagsbeschlusses wurde seitens der von Vorarlberger Landtag entsandten Bundesräte eine schriftliche Anfrage an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft gerichtet (Nr. 2523/J-BR/2007). Diese beinhaltete erstens die Darstellung eines der der oben erwähnten Gutachten und die Frage an den Bundesminister nach seiner Einschätzung dazu, zweitens die Frage nach der Realisierbarkeit einer Revision des EURATOM-Vertrags und drittens die Frage, ob eine Kündigung in Betracht gezogen werde, wenn eine Revision nicht gelingen würde.

In der Anfragebeantwortung von Bundesminister Pröll vom 16. August 2007 (2329/AB-BR/2007) wurde zur ersten Frage festgestellt, dass nach überwiegender Rechtsansicht keine Möglichkeit eines isolierten Austritts aus dem EURATOM-Vertrag bestehe. Zur zweiten Frage wurde festgestellt, dass intensiv daran gearbeitet werde, weitere Unterstützung für eine Einberufung einer Regierungskonferenz zu bekommen. Zur dritten Frage wurde geantwortet, dass ein einseitiger Austritt aus dem EURATOM-Vertrag, ungeachtet der rechtlichen Schwierigkeiten,  Österreich die Möglichkeit nehmen würde, seine nuklearpolitischen Ziele einzubringen und es zu einem "nuklearen Kerneuropa" kommen würde\; ein Austritt sei daher "keine realpolitisch gangbare Option". Stattdessen sei das Ziel eine umfassende Reform des Euratom-Vertrags.

Es wird daher der

Antrag

gestellt:

Der Landtag wolle beschließen:

Der Bericht des Ausschusses für Europäische Integration und Entwicklungspolitik zum Antrag, Einl.Zahl 1714/1, der Abgeordneten Kaltenegger, Dr. Murgg und Ing.in Pacher betreffend Ausstieg aus EURATOM wird zur Kenntnis genommen.