LANDTAG STEIERMARK
XV. GESETZGEBUNGSPERIODE


EZ/OZ: 3345/1

Dringliche Anfrage (§ 68 GeoLT)

eingebracht am 13.11.2009, 13:55:10


Landtagsabgeordnete(r): Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ), Ernest Kaltenegger (KPÖ)
Fraktion(en): KPÖ
Regierungsmitglied(er): Siegfried Schrittwieser

Betreff:
Systematische Anspruchsverweigerung auf Sozialhilfe


Seit
1.11.2008 ist der Regress in der Sozialhilfe abgeschafft. Damit sollte der
unwürdigen Situation ein Ende gemacht werden, dass Hilfsbedürftige auf die
Inanspruchnahme der Sozialhilfe verzichten, um nicht ihre Kinder oder Eltern
zum Ersatz zu verpflichten.





Nun
kommt es aber immer häufiger vor, dass Hilfesuchenden die Sozialhilfe mit dem
Argument verwehrt wird, sie müssten stattdessen ihre Angehörigen auf Unterhalt
klagen. Erst wenn diese Klage erfolglos bleibt, hätten die Betroffenen Anspruch
auf Sozialhilfe.





Das
bedeutet, dass Mütter ihre gerade volljährigen Kinder, Personen jenseits der
Vierzig ihre Eltern, Geschiedene trotz Vorliegen eines Unterhaltsverzichts ihre
ehemaligen Ehegatten auf Unterhalt klagen müssen. Auch wenn absehbar ist, dass
eine solche Klage, etwa wegen mangelnden Einkommens des Beklagten, erfolglos
sein wird oder nicht einmal der Aufenthaltsort des geschiedenen Ehegatten
bekannt ist, muss der Unterhaltsanspruch gerichtlich geltend gemacht werden
oder müssen die Angehörigen ihre Einkommensverhältnisse offenlegen.





Es
lässt sich leicht ermessen, was es für das Familienleben der Betroffenen
bedeutet, wenn etwa Eltern ihre gerade selbstständig gewordenen Kinder, Kinder
ihre auch nicht vermögenden Eltern auf Unterhalt klagen. Die Familienmitglieder
geraten in Streit, brechen den Kontakt ab, die Familie wird zerstört.





Durch
diese Praxis wird nicht nur die Abschaffung des Sozialhilferegresses völlig
konterkariert. Sie ist auch für die betroffenen Personen extrem demütigend und
unzumutbar.


1.
Ist die erst seit der Abschaffung des Regresses aufgekommene Verfolgung von
Unterhaltsansprüchen ein systematischer Versuch, auf dem Rücken der Betroffenen
die Kosten für die Sozialmaßnahmen des Landes Steiermark wieder auf das
vorherige Niveau zu drücken?





2.
Negiert systematische Anspruchsverweigerung auf Sozialhilfe, bevor nicht alle
bestehenden Unterhaltsansprüche gerichtlich geltend gemacht wurden, nicht die
von der SPÖ 2008 als sozialpolitische Errungenschaft gefeierte Abschaffung des
Regresses?





3.
Glauben Sie, dass es dem gesellschaftlichen Zusammenhalt förderlich ist, wenn
Eltern angehalten werden, ihre Kinder auf Unterhalt zu klagen, beziehungsweise
Kinder ihre Eltern, bevor die Betroffenen Anspruch auf Sozialhilfe erheben
können?





4.
Wie beurteilen Sie jenen Fall, in dem ein Betroffener von der Behörde
aufgefordert wurde, gerichtlich gegen seine Mutter vorzugehen, die Bezieherin
einer Mindestpension ist, bevor ein Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe
positiv beschieden werden könne, aus sozialpolitischer und menschlicher Sicht?





5.
Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass im Rahmen der Verwaltungspraxis einzelner
Bezirkshauptmannschaften seit Jahrzehnten geschiedene Eheleute mit aufrechtem
Vergleich gezwungen werden, die Vermögensverhältnisse des geschiedenen
Ehepartners beizubringen?





6.
Wie beurteilen Sie die durch manche Bezirksverwaltungsbehörden gepflegte
Vorgehensweise, nächste Verwandte von AntragstellerInnen ohne deren Wissen zu kontaktieren
und zur Vorlage von Vermögensnachweisen aufzufordern, was datenschutzrechtlich
bedenklich ist und die AntragstellerInnen in demütigende Situationen bringt und
regelmäßig familiäre Zerwürfnisse hervorruft?





7.
Ist Ihnen bekannt, dass zahlreiche Hilfesuchende bei ihrer Vorsprache durch die
Behördenvertreter erniedrigend und demütigend behandelt werden, wenn sie um
Sozialhilfe ansuchen?





8.
Welche Maßnahmen ergreift Ihr Ressort, um diese weit verbreiteten Vorkommnisse
einzudämmen?





9.
Wie stehen Sie zu der Einführung einer Sozialhilfeanwaltschaft, die Betroffene
im Umgang mit den Behörden unterstützt und Hilfeleistung bei Antragstellung
bietet?





10.
Ist es vorstellbar, im Rahmen Ihres Ressorts behördliche Ermittlungsverfahren
und Vorgangsweisen zu entwickeln, den stark mit Scham und sozialer Ausgrenzung
verbundenen Bezug von Sozialhilfe nicht unnötig demütigend zu gestalten?





11.
Warum ist es möglich, bei SozialhilfeempfängerInnen, die in stationären
Einrichtungen untergebracht sind, darauf zu verzichten, sie anzuhalten, ihre
Kinder und Enkel auf Unterhalt zu klagen, obwohl die selben gesetzlichen
Grundlagen gelten?





12.
Gibt es eine Weisung oder einen Erlass, der diese unterschiedliche Praxis der
Behörde auslöst, und falls ja, wie wird sie begründet?





13.
Wie können Sie in Zukunft ausschließen, dass Betroffene, die um offene
Sozialhilfe ansuchen, gezwungen werden, oft aussichtslose juristische Schritte
gegen ihre ebenfalls in manifester Armut lebenden nächsten Verwandten zu
setzen?


Unterschrift(en):
Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ), Ernest Kaltenegger (KPÖ)