EZ/OZ: 3769/1
Dringliche Anfrage (§ 68 GeoLT)
eingebracht am 18.05.2010, 09:30:21
Landtagsabgeordnete(r): Renate Pacher (KPÖ), Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ)
Fraktion(en): KPÖ
Regierungsmitglied(er): Siegfried Schrittwieser
Betreff:
Ist die Einführung der Mindestsicherung ein Rückschritt in der Sozialgesetzgebung?
Seit Jahren wird nun schon von der Einführung einer Mindestsicherung in Österreich gesprochen. Laut Ex-Sozialminister Buchinger sollte mit der Mindestsicherung die Armut in Österreich vermindert, die neun verschiedenen Sozialhilfegesetze harmonisiert und eine bundesweit einheitliche Mindestsicherung eingeführt werden. Die Höhe der Mindestsicherung sollte sich am Ausgleichszulagenrichtsatz orientieren, die Auszahlung sollte 14 Mal jährlich erfolgen. Es sollte einen One-Stop-Shop geben, der einerseits die Non-Take-Up-Rate vermindern und andererseits die Verwaltung vereinfachen sollte.
Was ist übrig geblieben von der viel gepriesenen Mindestsicherung? Eine §15a-Vereinbarung wurde getroffen, der alle 9 Bundesländer zugestimmt haben. Diese §15a-Vereinbarung regelt den Mindeststandard in ganz Österreich. Dieser Mindeststandard weicht weit ab von den o.g. Versprechungen, teilweise ist er viel geringer als die derzeit geltende Sozialhilfe. Die Mindestsicherung stellt für einen großen Personenkreis keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung gegenüber der jetzigen Sozialhilfe dar.
Der steirische Entwurf eines Mindestsicherungsgesetzes lag bis 20. April 2010 zur Begutachtung auf. Wurde in dem Entwurf des Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetzes, das dem derzeit geltenden Sozialhilfegesetz nachfolgen soll, das Verschlechterungsverbot umfassend umgesetzt? Die Antwort ist: Nein!
In den Erläuterungen wird zwar Bezug darauf genommen, dass eine lediglich zwölfmalige Auszahlung der Mindeststandards der Verpflichtung zur Erreichung des Leistungsniveaus der bisherigen Sozialhilfe nicht entsprechen würde, weshalb eine vierzehnmalige Auszahlung verankert ist. Eine systematische Anpassung der Beitragssätze zur Vermeidung von Verschlechterungen ist nicht erfolgt. Auch ist das Verschlechterungsverbot im Gesetz selbst nicht verankert.
Der steirische Entwurf ist leider so gehalten, dass es viele Verliererinnen und Verlierer gegenüber der jetzigen Sozialhilfe geben wird. Dies bestätigen die Stellungnahmen zum Entwurf des Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetzes von verschiedenen Einrichtungen, (wie z.B. Caritas, Kinder- und Jugendanwaltschaft, Interact usw.).
- Dies liegt einerseits daran, dass die Kinderrichtsätze zu niedrig sind. Derzeit beträgt der Richtsatz für ein Kind € 169,--, in Zukunft 19 % des Ausgleichszulagenrichtsatz für die ersten 4 Kinder (das sind € 141,36) und 23 % ab dem fünften Kind (das sind € 171,12). Um keine Verschlechterung beim Kinderrichtsatz zu haben, müssten 22,6 % ab dem 1. Kind gewährt werden.
- Andererseits wird auf die Höhe der Miete nicht mehr individuell eingegangen, wie dies derzeit im Sozialhilfegesetz der Fall ist. In den Mindestsicherungsrichtsätzen sind 25 % für die Miete vorgesehen.
- Es wird keinen One-Stop-Shop geben. Das AMS wird Anträge annehmen und ohne Prüfung auf Vollständigkeit an die zuständigen Stellen des Landes weiterleiten. Dies bedeutet zusätzliche bürokratische Schritte und Verzögerungen in der Bearbeitung und ist daher für die rasche Beseitigung von Notlagen ungeeignet, denn nach Weiterleitung der Anträge durch das AMS wird eine zusätzliche Vorsprache bei der BH oder dem Magistrat zu erfolgen haben.
Zwei Beispiel illustrieren deutlich die Verschlechterung:
Sozialhilfegesetz (derzeit)
€ 500,-- Lebensbedarf Hauptunterstützte (Alleinerzieherin)
€ 169,-- Lebensbedarf für Kind 1
€ 169,-- Lebensbedarf für Kind 2
€ 228,-- Wohnaufwand Hauptunterstützte
€ 44,-- Wohnaufwand Kind 1
€ 44,-- Wohnaufwand Kind 2
€ 1.154,-- Sozialhilferichtsatz
Bedarfsorientierte Mindestsicherung
€ 744,-- Mindestsicherung Alleinerzieherin
€ 141,36 Mindestsicherung Kind 1
€ 141,36 Mindestsicherung Kind 2
€ 1.026,72 Richtsatz Mindestsicherung
In Summe gerechnet erhält eine Alleinerzieherin mit 2 Kindern nach Einführung der Mindestsicherung monatlich um € 127,28 weniger als mit der derzeitigen Sozialhilfe. Dies stellt eindeutig eine Verschlechterung dar.
- Verschlechtern wird sich die Situation auch für erwachsene Personen, die in einer Wohngemeinschaft wohnen. Es wird eine Wirtschaftsgemeinschaft angenommen und jeder erhält nur mehr 75 % der Mindestsicherung, auch dazu ein Beispiel:
Zwei Frauen, die sich nach gewalttätigen Beziehungen im Frauenhaus kennengelernt haben, beschließen nach Auszug aus dem Frauenhaus, um Mietkosten zu sparen, gemeinsam in einer Wohnung zu leben. Eine der beiden Frauen geht arbeiten und hat ein Einkommen. Die andere Frau hat kein Einkommen und bezieht Sozialhilfe. Die Miete beträgt € 430, monatlich, d.h. jede der beiden Frauen muss monatlich € 215,-- an Miete bezahlen. Die Frau ohne Einkommen bezieht derzeit Sozialhilfe in folgender Höhe:
Sozialhilfegesetz (derzeit)
€ 500,-- Lebensbedarf Hauptunterstützte
€ 215,-- vertretbarer Aufwand für Unterkunft
€ 715,-- Sozialhilferichtsatz
Bedarfsorientierte Mindestsicherung
€ 558,-- Mindestsicherung 75 % von € 744,--
€ 715,-- derzeitige Sozialhilfe
€ 558,-- Mindestsicherung
€ 157,--- verliert die Frau monatlich nach Einführung der Mindestsicherung.
1.) Wie erklären Sie sich, dass in den Stellungnahmen der Caritas, der Stadt Graz, der Kinder- und Jugendanwaltschaft und der KPÖ zahlreiche Berechnungsbeispiele vorgelegt wurden, die deutlich machen, dass offensichtlich große Personengruppen die im zur Begutachtung ausgesendeten Mindestsicherungsgesetz finanziell massiv schlechter gestellt werden?
2.) Derzeit beträgt der Richtsatz für ein Kind € 169,--, in Zukunft 19 % des Ausgleichszulagenrichtsatz für die ersten 4 Kinder (das sind € 141,36) und 23 % ab dem fünften Kind (das sind € 171,12). Um keine Verschlechterung beim Kinderrichtsatz zu haben, müssten 22,6 % ab dem 1. Kind gewährt werden. Warum bleiben die Kinderrichtsätze für die ersten vier Kinder im Entwurf des Mindestsicherungsgesetzes deutlich unter den gesetzlichen Richtlinien des Sozialhilfegesetzes?
3.) Wie beurteilen sie die Tatsache, dass im geplanten Entwurf für die Umsetzung der Mindestsicherung nur alleinstehende Personen und AlleinerzieherInnen den Ausgleichszulagenrichtsatz bekommen? Wie begründen sie, dass volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen im gleichen Haushalt leben nur 75 % davon erhalten únd Kinder gar nur 18 % (ab dem 4. Kind nur mehr 15 %) vom Ausgleichszulagenrichtsatz bekommen?
4.) Ist geplant die Sonderregelungen des Sozialhilfegesetzes über die Bestattungskosten und den Entbindungskostenbeitrag beizubehalten?
5.)Werden Sie sich dafür einsetzen, dass es keine Verschlechterung für Menschen, die in Wohngemeinschaften leben gibt?
6.) Warum setzt die Steiermark im Entwurf des Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetzes, das Verschlechterungsverbot der zugrundeliegenden Art. 15a Vereinbarung (Art. 2 Abs 4, letzter Satz) nicht um?
7.) Wie wird in Zukunft für Hilfe in besonderen Lebenslagen (zur Abdeckung von Mietenrückständen, Stromrückständen, Übernahme von Kautionen etc.) gesorgt?
8.) Werden Sie für die Umsetzung des Verschlechterungsverbotes durch Beseitigung der oben aufgezeigten Mängel und Schlechterstellung im Entwurf des von Ihnen vorgelegten Mindestsicherungsgesetzes sorgen?
Unterschrift(en):
Renate Pacher (KPÖ), Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ)