LANDTAG STEIERMARK
XV. GESETZGEBUNGSPERIODE


TOP 43

EZ/OZ 3518/5

Schriftlicher Bericht

Ausschuss: Bildung

Betreff:
Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung


zu:


  • 3518/1, Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung (Selbstständiger Antrag)


Der Ausschuss "Bildung" hat in seinen Sitzungen vom 09.03.2010 und 29.06.2010 über den oben angeführten Gegenstand die Beratungen durchgeführt.


Mit Beschluss des Ausschusses für Bildung, Schule, Kinderbetreuung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landtages Steiermark vom 09.03.2010 wurde die Steiermärkische Landesregierung ersucht eine Stellungnahme zum Antrag, Einl.Zahl 3518/1, abzugeben.

Aufgrund dieses Beschlusses erstattet die Steiermärkische Landesregierung folgende Stellungnahme:

Zunächst wird auf die Stellungnahme der Landesregierung zum Beschluss des Landtagsausschusses für Bildung, Schule, Kinderbetreuung, Wissenschaft, Forschung und Kultur betreffend den selbständigen Antrag der Grünen, EZ 3237/1 betreffend "Reparatur der Vereinbarung gem. Art. 15a B-VG über die Einführung der halbtägigen kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen" verwiesen. Auch der vorliegende Antrag nimmt auf den Antrag EZ 3237/1 bzw. die Stellungnahme der Landesregierung dazu Bezug.

Art. 4 Abs. 2 der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Einführung der halbtägigen kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen bestimmt, dass zum Besuch von geeigneten institutionellen Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen jene Kinder verpflichtet werden sollen, die vor dem 1. September des jeweiligen Jahres das 5. Lebensjahr vollendet haben und im Folgejahr schulpflichtig werden. In weiterer Folge sind Tatbestände normiert, die eine Ausnahmeregelung rechtfertigen können. Darunter fallen auch "Kinder, denen auf Grund einer Behinderung oder aus medizinischen Gründen bzw. auf Grund eines besonderen sonderpädagogischen Förderbedarfes….  der Besuch nicht zugemutet werden kann".

Es wird also in der angesprochenen Vereinbarung eine grundsätzliche Besuchspflicht normiert, die lediglich durch das Lebensalter der Kinder definiert ist. Somit besteht diese Besuchspflicht zunächst auch beispielsweise für Kinder mit besonderen Erziehungsansprüchen und einem Bescheid nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz. Eine Behinderung stellt im Sinne der gegenständlichen Art. 15a B-VG-Vereinbarung daher keinen Ausschließungsgrund, sondern lediglich einen Ausnahmegrund dar.

Da sich die Fachabteilung 6E natürlich der Bedeutung des Besuches einer Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung, gerade auch für Kinder mit besonderen Erziehungsansprüchen, bewusst ist, wurde im Zusammenhang mit der Vorbereitung der notwendigen Gesetzesnovelle in der Steiermark bereits Anfang Oktober des Vorjahres bei einem persönlichen Gesprächstermin im zuständigen Bundesministerium, der durch die gegenständliche Vereinbarung gesetzte Rahmen für die Regelungen abgesprochen. Dabei wurde seitens des Bundesministeriums der Argumentation der Fachabteilung 6E, dass die Regelungen der gegenständlichen Art. 15a-Vereinbarung Mindeststandards definieren, strengere Regelungen im Bezug auf die Besuchspflicht in den Ländergesetzen jedoch möglich sind, vollinhaltlich Folge geleistet.

Es geht daher in keinster Weise darum, dass Art. 4 der Vereinbarung nicht angewendet und damit die Umsetzung und Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung abgelehnt wird, sondern dass durch die gegenständliche Vereinbarung nur ein Rahmen für den Landesgesetzgeber vorgegeben wird, innerhalb dessen durchaus strengere Regelungen möglich sind.

Im Entwurf einer Novelle zum Steiermärkischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz, der als Regierungsvorlage bereits in den Landtag eingebracht wurde (EZ 3625/1), wurde auf die angeführten Bedenken bereits Bezug genommen. Gemäß § 33b Abs. 1 Z. 2 des Entwurfes sind unter anderem von der Verpflichtung zum Besuch einer institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung ausgenommen: "Kinder mit besonderen Erziehungsansprüchen, für die Bescheide nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz, LGBl. Nr. 26/2004, vorliegen, sofern gemäß Abs. 3 festgestellt wird, dass der Besuch der Kinderbetreuungseinrichtung zu einer unzumutbaren Belastung für das Kind führen würde."
Nach Abs. 3 haben die Eltern (Erziehungsberechtigten) bei Vorliegen dieses Ausnahmegrundes einen Antrag an die für den Hauptwohnsitz des Kindes zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu stellen, wobei für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, der Behörde beispielsweise ein fachärztliches Gutachten oder ein Gutachten eines IHB (Individueller Hilfebedarf)-Teams vorzulegen ist. Die Bezirksverwaltungsbehörde hat dann binnen drei Monaten den konkreten Sachverhalt zu prüfen und mit Bescheid festzustellen, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme erfüllt sind. Daraus ergibt sich, dass in der Steiermark auch für Kinder mit besonderen Erziehungsansprüchen, für die Bescheide nach dem Stmk. Behindertengesetz vorliegen, das verpflichtende letzte Kinderbetreuungsjahr gilt. Nur wenn der Besuch zu einer bescheidmäßig festgestellten unzumutbaren Belastung für das Kind führen würde, insbesondere auf Grund der besonderen Schwere der Behinderung, ist das betreffende Kind über Antrag der/des Erziehungsberechtigten von der Besuchspflicht ausgenommen. Allgemein muss davon ausgegangen werden, dass Eltern bzw. Erziehungsberechtigte unter sorgfältiger Abwägung aller Umstände im Sinne des Kindeswohles vorgehen. Dieses elterliche Handeln wird dennoch zusätzlich einer behördlichen Prüfung unterzogen.

Solche Ausnahmegründe für die Besuchspflicht sind im Entwurf der Novelle des Stmk. Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes nicht nur für Kinder mit besonderen Erziehungsansprüchen, für die Bescheide nach dem Stmk. Behindertengesetz vorliegen, vorgesehen, die Unzumutbarkeit des Besuches kann sich auch aus medizinischen Gründen oder auf Grund schwieriger Wegverhältnisse ergeben. Grundsätzlich bestehen also für alle Kinder der betreffenden Altersgruppe anwendbare Ausnahmegründe, völlig unabhängig vom Vorliegen einer Behinderung. Auch dies sind freilich nur Ausnahme- und keine Ausschließungsgründe.

Derartige Einschränkungen der Besuchspflicht erscheinen aus Sicht der Vollziehbarkeit gesetzlicher Regelungen unabdingbar. Darüber hinaus stellen Verpflichtungen wie die gegenständliche auch einen relevanten Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und Familienleben dar. Auch aus dieser Sicht können derartige Verpflichtungen nicht absolut gelten und sind etwa Zumutbarkeitsregeln vorzusehen. Auch die Möglichkeit zur Erfüllung der Verpflichtung im Rahmen der häuslichen Erziehung ist, analog der Entlassung in den häuslichen Unterricht bei der Schulpflicht, unter diesem Blickwinkel zu sehen. Zu erwähnen ist, dass im Entwurf der steirischen Gesetzesnovelle aber darauf verzichtet wurde, Kinder mit besonderem sonderpädagogischem Förderbedarf, der in der gegenständlichen Art. 15a B-VG Vereinbarung als Ausnahmegrund erwähnt ist, aufzunehmen. Gerade diese Kinder können nach Ansicht der Fachabteilung 6E durch den Besuch einer Kinderbetreuungseinrichtung besonders gefördert und unterstützt werden. Auch hier ist die steirische Regelung daher strenger als die Art. 15a B-VG Vereinbarung.

Um diese Standpunkte auch der Steirischen Behindertenhilfe zu erläutern wurde seitens der Fachabteilung 6E mit einem der beiden Präsidenten des Dachverbandes, Herrn Regierungsrat Peter Ripper, Kontakt aufgenommen. In einem Schreiben vom 27.4.2010 teilt er mit, dass die Stellungnahme der Landesregierung zum selbständigen Antrag der Grünen, EZ 3237/1, der Auffassung der Steirischen Behindertenhilfe "nahe komme". Er führt weiter aus: "Aus der Sichtweise der Betroffenen wäre es wünschenswert, allfällige Gefälligkeitsgutachten zu unterbinden. Hierfür wäre ein Erlass an die vollziehenden Stellen ausreichend." Es ist daher davon auszugehen, dass auch die Steirische Behindertenhilfe mit der Umsetzung des verpflichtenden Kinderbetreuungsjahres für Kinder mit Behinderungen in Form der vorliegenden Novelle des Stmk. Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes einverstanden ist.
 
Zusammenfassend ist festzustellen, dass durch die gegenständliche Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG kein Kind vom verpflichtenden Besuch einer Kinderbetreuungseinrichtung ausgenommen wird, da die (Schwere einer) Behinderung keinesfalls einen Ausschließungsgrund darstellt, sondern lediglich einen Ausnahmegrund darstellen kann. Eine Verletzung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung ist daher aus Sicht der Fachabteilung 6E nicht gegeben, weshalb die Fachabteilung 6E Verhandlungen über eine Änderung der gegenständlichen Vereinbarung mit dem Bund als nicht erforderlich erachtet. Ungeachtet der Interpretation der Bestimmungen der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG sieht die Novelle zum Stmk. Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz aber noch strengere Regelungen insofern vor, als darin einerseits klargestellt wird, dass das verpflichtende Kinderbetreuungsjahr jedenfalls auch für Kinder mit besonderen Erziehungsansprüchen, für die Bescheide nach dem Stmk. Behindertengesetz vorliegen, gilt und andererseits Kinder mit besonderem sonderpädagogischen Förderbedarf bei den Ausnahmegründen gar nicht erwähnt werden. Nur in besonderen Fällen z. B bei besonders schwerer Behinderung, kann von den Eltern ein Antrag auf eine Ausnahmebewilligung bei der zuständigen Behörde gestellt werden, wobei dann eine Überprüfung in jedem Einzelfall stattfindet.

Sollte seitens des Landtages Steiermark dennoch eine anders lautende Regelung gewünscht werden, liegt dies im Ermessen der gesetzgebenden Körperschaft, da, wie mehrfach dargestellt, eine diesbezügliche Bindung durch die gegenständliche Art. 15a B-VG Vereinbarung nicht besteht. Diesbezügliche Verhandlungen mit dem Bund sind somit keinesfalls erforderlich und müssen ins Leere gehen.

Es wird daher der

Antrag

gestellt:

Der Landtag wolle beschließen:

Der Bericht des Ausschusses für Bildung, Schule, Kinderbetreuung, Wissenschaft, Forschung und Kultur zum Antrag, Einl.Zahl 3518/1, der Abgeordneten Lechner-Sonnek, Mag.a Zitz, Schönleitner und Klimt-Weithaler betreffend Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung wird zur Kenntnis genommen.