Der Ausschuss "Bildung" hat in seinen Sitzungen vom 06.03.2012 und 26.06.2012 über den oben angeführten Gegenstand die Beratungen durchgeführt.
Mit Beschluss des Ausschusses für Bildung, Schule, Kinderbetreuung und Sport vom 08.02.2012 wurde die Steiermärkische Landesregierung ersucht eine Stellungnahme zum Antrag, Einl.Zahl 1055/1, abzugeben.
Aufgrund dieses Beschlusses erstattet die Steiermärkische Landesregierung folgende Stellungnahme:
Seitens der Fachabteilung 6B wurde folgende Stellungnahme an die FA11A als federführende Fachabteilung übermittelt:
Zum selbstständigen Antrag gemäß § 21 GeoLT der Abgeordneten Ingrid Lechner-Sonnek, Ing. Sabine Jungwirth und Lambert Schönleitner betreffend die Sicherstellung der Inklusion aller Kinder mit Behinderung im Regelschulwesen, Einl.Zahl 1055/1, wird seitens der Fachabteilung 6B in Entsprechung des do. E-Mails vom 27. April 2012 folgende Stellungnahme abgegeben:
1. § 49 Abs. 1 des Steiermärkischen Pflichtschulerhaltungsgesetzes, LGBl. Nr. 71/2004, i.d.g.F., sieht vor, dass in jeder Pflichtschule eine der Anzahl der Klassen entsprechende Zahl von Unterrichts- und Nebenräumen behindertengerecht einzurichten ist. Demgemäß wird seitens der Schulbehörde insbesondere bei Bau- und Umbaumaßnahmen sowie Sanierungen auf eine barrierefreie und behindertengerechte Gestaltung geachtet.
2. Für Kinder mit einem körperlichen Betreuungsbedarf sieht § 35a Steiermärkisches Pflichtschulerhaltungsgesetz im Rahmen des Unterrichtes und der Tagesbetreuung die Beistellung von Pflege- und Hilfspersonal für pflegerisch-helfende Tätigkeiten vor. Durch diese Leistung in Form von körperlicher Unterstützung werden körperliche Beeinträchtigungen ausgeglichen, die die Kinder dabei behindern am Unterricht teilzunehmen. Diese Maßnahme ist eine wesentliche Grundlage für eine inklusive Beschulung körperbehinderter Schülerinnen und Schüler.
Die Beistellung dieses Pflege- und Hilfspersonals obliegt dem jeweiligen Schulerhalter. Das Land und die Gemeinden des jeweiligen Schulbezirkes tragen die Kosten im Verhältnis 60 : 40.
3. Gemäß § 23 Abs.4 Ziff. 1 des Steiermärkischen Pflichtschulerhaltungsgesetzes besteht für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ein gesetzlicher Anspruch auf sprengelfremden Schulbesuch, wenn das Kind statt einer entsprechenden Sonderschule eine außerhalb des Sprengels liegende allgemeine Schule besuchen will, weil an der allgemeinen Schule des eigenen Schulsprengels eine entsprechende Förderung nicht in gleicher Weise erfolgen kann. Gemäß § 23 Abs. 5 leg.cit. entfällt in diesem Fall das Verfahren zum sprengelfremden Schulbesuch.
4. Nach Maßgabe der vorhandenen Ressourcen erfolgen zweckgebundene Sonderzuteilungen an Lehrerwochenstunden für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und für integrative/inklusive Maßnahmen. Im Schuljahr 2011/12 konnten den steirischen Pflichtschulen zusätzlich 144 Planstellen für sonderpädagogische Förder- und Stützmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden.
In diesem Zusammenhang wird festgehalten, dass die Landeshauptleutekonferenz den Bund ersucht hat, mit den Ländern Verhandlungen über eine Änderung des Berechnungsschlüssels für den Bereich der Sonderpädagogik in den allgemein bildenden Pflichtschulen aufzunehmen, mit dem Ziel die in den Stellenplanrichtlinien festgeschriebene Deckelung von 2,7 % aufzuheben bzw. diese dem tatsächlichen Aufwand - in der Steiermark beträgt im Schuljahr 2011/12 der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf 5 % an der GesamtschülerInnenzahl - anzupassen.
5. Gemäß § 8a Abs. 1 des Schulpflichtgesetzes, BGBl.Nr. 76/1985, sind schulpflichtige Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf berechtigt, die allgemeine Schulpflicht entweder in einer für sie geeigneten Sonderschule oder Sonderschulklasse oder in einer den sonderpädagogischen Förderbedarf erfüllenden Volksschule, Hauptschule oder Unterstufe einer allgemein bildenden höheren Schule zu erfüllen, soweit solche Schulen (Klassen) vorhanden sind und der Schulweg den Kindern zumutbar oder der Schulbesuch auf Grund der mit Zustimmung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes erfolgten Unterbringung in einem der Schule angegliederten oder sonst geeigneten Schülerheim möglich ist. Die Eltern haben daher ein Wahlrecht, das Kind integrativ/inklusiv betreuen zu lassen oder nicht.
Lehrlinge:
§ 8b Berufsausbildungsgesetz, BGBL. Nr. 142/1969, in der geltenden Fassung, sieht zur Verbesserung der Eingliederung von benachteiligten Personen mit persönlichen Vermittlungshindernissen die Möglichkeit einer integrativen Berufsausbildung vor. Lehrbetrieb und Bewerber legen gemeinsam mit der Berufsausbildungsassistenz, einem Vertreter des Landesschulrates und einem Vertreter des Schulerhalters (Landesregierung), die Ausbildungsziele und die Ausbildungsdauer fest. Dabei sind auch pädagogische Begleitmaßnahmen bzw. die Form der Einbindung in den Berufsschulunterricht festzulegen.
Im Jahr 2011 befanden sich von insgesamt 18.911 Lehrlingen 1.087 Jugendliche in einer integrativen Berufsausbildung.
Bei sämtlichen Bau- bzw. Umbaumaßnahmen achtet die Landesimmobiliengesellschaft im Auftrag des Landes auf Barrierefreiheit und behindertengerechte Ausgestaltung.
Es wurde seitens der Fachabteilung 6B eine Stellungnahme des Landesschulrates für
Steiermark eingeholt, in welcher von Frau Landesschulinspektorin für allgemein bildende Pflichtschulen mit dem Schwerpunkt Sonderpädagogik SOLn. Dipl.-Päd. Sabine Haucinger Folgendes ausgeführt wurde:
"Die Steiermark war schon in der Vergangenheit bei der Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen führend tätig. Seit 1985 (VS Kalsdorf) wurden erfolgreiche Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder durchgeführt.
Die positiven Erkenntnisse aus diesen an zahlreichen Standorten durchgeführten Schulversuchen führten schließlich zur Übernahme in das Regelschulsystem (1993 bzw. 1997).
Während die durchschnittliche österreichische Integrationsquote (Inklusionsquote) 50 % beträgt, besuchen im Schuljahr 2011/12 in der Steiermark 84 % aller Kinder mit Behinderungen den Unterricht in den allgemeinen Regelschulen der Grund- und Sekundarstufe.
Derzeit existiert noch ein Wahlrecht der Eltern zwischen integrativem Unterricht und dem Besuch einer Sonderschule. Wenn Eltern sich heute noch für eine Sonderschule entscheiden, dann häufig aus dem Grund, dass Sonderschulen meist ganztägig geführt werden und den Eltern von Kindern mit Behinderungen damit eine umfassendere Betreuung anbieten können, als dies in manchen wohnortnahen Regelschulen derzeit der Fall ist.
Im Einzelnen sieht die Lage für Kinder mit besonderen Bedürfnissen in unserem Land folgendermaßen aus:
Sinnesbehinderte Kinder werden seit über einem Vierteljahrhundert in ihrer wohnortnahen Schule bestens betreut. Die moderne Technik macht es möglich: Laptops z. B. kann man gut transportieren, spezielle für das Kind angepasste Lesegeräte können an jedem Schülerarbeitsplatz aufgestellt werden. Die Kinder bzw. die Lehrer/innen werden von den "Speziallehrer/innen" aus dem SPZ zusätzlich betreut. Hier gibt es einen positiven Effekt, der so nicht vorhersehbar war: der sogenannte "Kompetenztransfer" zwischen den Lehrer/innen findet statt. Wenn die "Spezialist/inn/en" zu einem blinden Kind in die Klasse kommen, haben beispielsweise alle Kinder dieser Klasse die Möglichkeit die Braille-Schrift zu erlernen. Und dasselbe gilt auch für die Klassenlehrerin oder den Klassenlehrer.
Hörbehinderte Kinder tragen heute meist ein Cochlea-Implantat. Damit ist es vielen Kindern möglich zu hören und auch Sprache zu erlernen. Aber auch gebärdenunterstützte Kommunikation ist für alle erlernbar. Gebärdendolmetscher/innen bzw. Lehrer/innen mit dieser Zusatzausbildung haben sich im gemeinsamen Unterricht in der Regelschule bestens bewährt.
Inklusion stellt einen Paradigmenwechsel in der Pädagogik dar. Das Ziel der bisherigen Bemühungen der "Integration" war, Kinder, die zuvor ausgesondert wurden, wieder in die Regelschule zu integrieren. Unter Inklusion jedoch versteht man ein Schulsystem, das von vornherein alle Kinder wertschätzend willkommen heißt und die Verschiedenheit und Vielfalt als Bereicherung empfindet (eine Schule für alle).
Voraussetzung für das Gelingen von "Inklusion" sind eine neue Didaktik, veränderte Unterrichtsmethoden und die positive Einstellung und Haltung der Lehrerinnen und Lehrer gegenüber heterogenen Gruppen. Wenn der Unterricht differenziert und individualisierend vorbereitet und auf alle Begabungsniveaus der Gruppe abgestimmt wird, profitieren davon alle Schülerinnen und Schüler, das belegen viele bundesweite Studien.
Schwächere Schüler/innen und Schüler/innen mit Behinderungen orientieren sich sehr stark an ihren nichtbehinderten und leistungsstarken Mitschüler/innen und machen dabei erstaunliche, oft nicht erwartete Fortschritte. "Peer teaching" oder "Peer education" nennt man dieses Phänomen im angelsächsischen Raum.
Erfahrene Pädagog/inn/en wissen es: Kinder lernen von und mit Kindern meist lieber, freudiger und besser als von und mit Erwachsenen. Hochbegabte Schüler/innen können ebenfalls individuell gefördert werden und haben zusätzlich die Chance, weniger begabten Mitschüler/innen zu helfen und sie zu unterstützen. Beim Helfen wiederum lernen sie selbst effektiver, wie viele nationale und internationale Untersuchungen belegen.
Eine der wichtigsten Erfahrungen ist aber auch, dass das soziale Klima in integrativ geführten Klassen als besonders gut bewertet und eingeschätzt wird. Auch hier decken sich die Ergebnisse österreichischer und internationaler Untersuchungen.
All diese neuen pädagogischen Erkenntnisse der "Peer education" bzw. des "Sozialen Lernens" haben - gemeinsam mit menschenrechtlichen Aspekten- dazu geführt, dass die UN-Konvention eindeutig ein inklusives Bildungssystem als Richtlinie vorgibt, weil eben die oben angeführten positiven Effekte in ausgrenzenden "Spezialschulen" oder "Spezialklassen" nicht erreicht werden können.
Daher werden aufgrund der UN-Konvention die - historisch gesehen - verdienstvollen Sonderschulen sowohl aus rechtlicher als auch aus pädagogischer Sicht zum Auslaufmodell. Dieser Prozess ist durch die neue Geltung des Artikels 24 der UN-Konvention deutlich beschleunigt worden. Auch ohne die ausdrückliche Übernahme der Konventionsbestimmungen in den österreichischen Rechtsbestand, ist unser Land jedenfalls völkerrechtlich verpflichtet keinen weiteren Ausbau der Sonderschulen zu erlauben und das noch bestehende Wahlrecht der Eltern zugunsten eines inklusiven Schulsystems aufzugeben.
Daher gilt es für die Zukunft Konzepte zu entwickeln, wie der personelle Transfer von den derzeitigen Sonderschulen zu Regelschulen stattfinden kann und wie einzelne Sonderschulen mit besonderen "Sonderpädagogischen Kompetenzen" sich zu Schulen für alle Kinder entwickeln können.
Die umfassende ganztägige Betreuung in Regelschulen, muss auch für Kinder mit Behinderungen in allen Regionen ausgebaut und gewährleistet werden.
Aus organisatorischer und ökonomischer Sicht ist zu ergänzen, dass das Nebeneinander von zwei parallelen Ausbildungssystemen (50% Integration und 50% Sonderschulen in Österreich) für Kinder mit Behinderungen nicht nur - wie oben erläutert - zu einer schlechteren Ergebnisqualität, nämlich für Kinder in Spezialschulen führt, sondern gleichzeitig auch das teuerste System darstellt."
Die vorangegangene Stellungnahme der FA6B gibt einen umfassenden Überblick über die aktuelle Situation in der Steiermark betreffend die Integration von Kindern mit Behinderungen in das Regelschulwesen.
Die Stellungnahme der FA6B wird aus der Sicht der Fachabteilung 11A wie folgt ergänzt:
Am 9. Juni 2011 erfolgte ein einstimmiger Regierungssitzungsbeschluss der Steiermärkischen Landesregierung zur Erarbeitung eines Aktionsplanes des Landes Steiermark zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Fachabteilung 11A Arbeit, Soziales und Beihilfen wurde beauftragt, einen detaillierten Projektantrag zu erarbeiten.
Der Projektantrag befindet sich in der Finalisierungsphase und wird eine Reihe von konkreten Umsetzungsmaßnahmen enthalten.
Im Artikel 24 "Bildung" der UN-Behindertenrechtskonvention wird im Absatz (2)b) gefordert, dass "Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen (inklusiven), hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben."
Eingangs ist es erforderlich, eine Begriffsklärung vorzunehmen. Der Begriff INKLUSION geht über den Begriff der Integration hinaus, der Fokus wird auf das System und nicht wie bei der Integration auf das Individuum mit seinen Defiziten gelenkt. Inklusion zielt darauf ab, Strukturen, Rahmenbedingungen zu ändern und damit ein System für alle zu schaffen.
Bezogen auf einen inklusiven Unterricht für alle Kinder würde das einen Paradigmenwechsel vom individuumszentrierten Ansatz (Integration) hin zu einem systemischen Ansatz, von der Eingliederung behinderter Kinder in das Regelschulwesen hin zur gemeinsamen Schule für behinderte und nichtbehinderte Schülerinnen bedeuten.
Das Bundesland Steiermark ist - wie aus der Stellungnahme von Dipl. Päd. Haucinger ersichtlich - mit 84 % Integrationsquote führend in Österreich. Um jedoch der Inklusion im Wortsinn Folge leisten zu können, bedarf es einer Haltungsänderung in Richtung Systemänderung.
Solange hier bundesgesetzliche Regelungen (§8a.(1) Schulpflichtgesetz und §27a.(1), (2) Schulorganisationsgesetz) in Kraft sind, können die Bundesländer keine Alleingänge in Richtung Realisierung eines inklusiven Schulsystems unternehmen.
Ansätze seitens des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur in Richtung INKLUSION gibt es bereits\; seit Frühjahr 2011 wird an einer Umsetzungsstrategie des Artikels 24 Bildung gearbeitet. In einem wissenschaftlich begleiteten Prozess wurden VertreterInnen der Zivilgesellschaft, der Schulbehörden, LändervertreterInnen sowie ExpertInnen aus den Ministerien zu sog. "Runden Tischen" eingeladen, um dort an der Weiterentwicklung von Schulen zu inklusiven Lernorten zu arbeiten.
Auch im Entwurf des nationalen Aktionsplanes wird der Inklusion von Kindern in das Regelschulwesen Rechnung getragen, die Maßnahme 134 lautet wie folgt: "Partizipative Strategieentwicklung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zur Realisierung eines inklusiven Schulsystems."
Dem Antrag auf Sicherstellung der Inklusion aller Kinder mit Behinderung im Regelschulwesen wird im Projektantrag zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention insofern Rechnung getragen werden, als es im Aktionsplan des Landes Steiermark eine eigene Maßnahme zu diesem Thema geben wird, die sich mit dem Paradigmenwechsel hin zu einer inklusiven Beschulung für Kinder mit und ohne Behinderung befassen wird. In einer Arbeitsgruppe wird in enger Kooperation mit VertreterInnen des Landesschulrates und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur ein Konzept zur Umsetzung eines inklusiven Schulsystems in der Steiermark (beginnend mit einer Modellregion) erarbeitet.