LANDTAG STEIERMARK
XVI. GESETZGEBUNGSPERIODE


EZ/OZ: 1152/1

Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT)

eingebracht am 30.03.2012, 17:43:19


Landtagsabgeordnete(r): Ingrid Lechner-Sonnek (Grüne), Sabine Jungwirth (Grüne), Lambert Schönleitner (Grüne)
Fraktion(en): Grüne
Zuständiger Ausschuss: Gesundheit
Regierungsmitglied(er): Kristina Edlinger-Ploder (ÖVP)

Betreff:
Die Gesunde Zukunft der Steiermark

Gesundheitspolitik ist in der Steiermark traditionell vor allem Spitalspolitik. In den letzten eineinhalb Jahren geht es dabei um Veränderungen der Standorte und ihrer Abteilungen. Auch der RSG (Regionaler Strukturplan Gesundheit) beschäftigt sich nur mit den nächsten Schritten in der Spitalspolitik und bezieht wesentliche Fragen und Strukturen der Gesundheitsversorgung nicht ein.

Die Budgets im Gesundheitsbereich wachsen seit Jahren so rasch, dass immer öfter infrage gestellt wird, wie lange die öffentliche Hand die Finanzierung noch sicherstellen kann. Als großes Problem erweist sich die zerklüftete Finanzstruktur im Gesundheitsbereich - eine zeitgemäße Form des gordischen Knotens.
Auch die Bundesländer untereinander stimmen sich nicht ab, im Gegenteil. Krankenhäuser in Grenznähe scheinen auf der anderen Seite geradezu einen Reflex auszulösen: Was die können, können wir schon lang! Und regionale Polit-Interessen verhindern, dass bestehende Standorte sich mit dem Bedarf der Region ändern dürfen.

Was wo angeboten wird und zu welchen Zeiten hat oft wenig mit dem tatsächlichen Bedarf zu tun. Dass am Freitag Mittag in Graz kranke Kinder nur mehr in der Ambulanz der Kinderklinik Behandlung bekommen oder dass in manchen Regionen der Wegfall von Klinikabteilungen in Kombination mit überbelasteten Notarzt- und Rettungssystemen Versorgungsängste auslösen, ist verständlich.

Was bei all dem ins Auge sticht: Niemand scheint die Frage zu stellen, ob und wann eine Region ausreichend versorgt ist und welche Elemente unter Umständen fehlen könnten. Das Gesundheitssystem ist von dem bestimmt, was gerade angeboten wird, die Bevölkerung muss damit zurecht kommen - und mit großen regionalen Unterschieden! Geplante Einschnitte (Schließung von Abteilungen oder Krankenhäusern) lösen auch deshalb Abwehr aus, weil kein Bild davon gezeichnet wird, was an ihre Stelle treten wird.  Man weiß nur: Da fällt jetzt etwas weg, was ich vorher zur Verfügung hatte.

Auch der kollektive Umgang mit Gesundheit und Krankheit hat sich zu einem Problem entwickelt. Gesundheitsschädliche Rahmenbedingungen wie Feinstaub, schlechte Arbeits- und Wohnverhältnisse werden kaum jemals zum Thema politischer und gesellschaftlicher Problemlösung. Das Gesundheitssystem ist eigentlich ein Krankheitssystem: Bis zum Eintritt der Krankheit herrscht eine laissez-faire-Haltung, als gebe es die Möglichkeit oder das Interesse den guten Zustand zu erhalten gar nicht. Dies begünstigt die Entstehung chronischer Krankheiten, die etwa 80% des Versorgungsgeschehens bestimmen und den Großteil der Ressourcen benötigen.

Die Trendumkehr ist zu leisten:
  1. Statt nur auf die Behandlung von Krankheiten fixiert zu sein, wird die Erhaltung von Gesundheit oberstes Ziel.
  2. Statt relativ rasch in Ambulanzen zu landen und oft im Spital zu liegen, erhalten Menschen bei Befindlichkeitsstörungen in ihrer Region rasche, kompetente Erstversorgungshilfe.
  3. Statt mit der e-card von Arzt zu Ärztin zu wandern oder doch ins Ambulatorium, statt Mehrfachbefunden und Über- bzw. Fehlmedikationen haben die Menschen eine selbst gewählte Ansprechperson:  Der Hausarzt/ die Hausärztin ihres Vertrauens, die in Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen eine bedarfsgerechte Versorgung gewährleistet. Ins Spital gehen dann nur mehr jene Personen, die diese Versorgung auch wirklich brauchen.
  4. Die Im Gesundheitsbereich tätigen Personen (ÄrztInnen, TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, Pflegefachkräfte, usw.) arbeiten eng zusammen, um die Gesundheit der Menschen in ihrer Region gemeinsam zu erhalten und im Krankheitsfall eine bedarfsgerechte Versorgung zu gewährleisten. Ihre Entlohnung sollte so gestaltet werden, dass nicht wie bisher ein Mehr an Verschreibungen und Ordinationen das Einkommen bestimmt. Soziale Fragen werden einbezogen.
  5. Finanzierung aus einer Hand: Alle im Gesundheitsbereich zuständigen Stellen finanzieren gemeinsam das gesamte System. Es gibt klare, gesetzlich verankerte Gesundheitsziele. Um diese zu erreichen, müssen Eigeninteressen hintangehalten werden. Positive Effekte auf die Gesundheit und auf die Budgets sind garantiert.
  6. Die Planung und Organisation der höherschwelligen stationären Krankenversorgung wird Bundesaufgabe. Statt neun unterschiedlichen Spitalsplanungen gibt es nur noch eine für ganz Österreich. Die hohen Kosten des Florianiprinzips der Bundesländer können eingebremst werden.
  7. Ein bestimmter Teil der Ausgaben wird verbindlich für Gesundheitsförderung und Primärprävention eingesetzt und eigenständig verwaltet. Regionale Modelle zur umfassenden Förderung der Gesundheit werden daraus finanziert.

Diese Lösungsansätze finden sich auch im Modell "Gesundheit 2020" der Industriellenvereinigung Österreich, wo die Finanzierung aus einer Hand, die bundesländerübergreifende Spitalsplanung auf Bundesebene, die zentrale Rolle von Gesundheitsförderung und Prävention usw. an die Spitze der Überlegungen gestellt werden. Auch das Modell "Hausarzt neu" des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger arbeitet unter anderem heraus, wie eine regionale Versorgung dazu beitragen kann, ohne Qualitätsverlust die stationären Versorgungsbereiche zu entlasten.

Es ist machbar! Das gute Beispiel
Seit 2006 läuft in Baden-Württemberg das Projekt "Gesundes Kinzigtal". Es handelt sich dabei um ein integriertes regionales Versorgungsmodell mit der Ausrichtung auf die Vermehrung des Gesundheitsnutzens der Bevölkerung. "Ärzte und Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Kliniken und Krankenhäuser, Pflegedienste, Vereine, Fitnessstudios und Krankenkassen arbeiten dazu eng mit einer regionalen Managementgesellschaft und deren Präventions- und Versorgungsmanagementprogrammen zusammen. …hat sich zum Ziel gesetzt, Gesundheitskosten zu senken, Prävention zu fördern und gleichzeitig die medizinische Versorgung regional nachhaltig zu verbessern." (Integrierte regionale Versorgung in der Praxis: Ein Werkstattbericht aus dem "Gesunden Kinzigtal", Hildebrandt/Schmitt/Roth/Stunder).

Die Grundprinzipien:
  • Finanzierung aus einer Hand,
  • eine eigens gegründete Gesellschaft trägt die Organisationsverantwortung für Aufbau und Ablauf des auf 10 Jahre anberaumten Projektes, die Reorganisation der Versorgungsabläufe, die Optimierung der Versorgungssteuerung, schließt Leistungsverträge.
  • Die Menschen der Region können sich entscheiden, ob sie am Projekt teilnehmen wollen. Wenn sie beitreten (kostenlos, jederzeit wiederrufbar), dann können sie aus den eingetragenen ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen eine/n Arzt/Ärztin ihres Vertrauens auswählen, der/die für sie dann als erste Ansprechperson und Lotse im System fungiert. Die Wahlfreiheit wird in keiner Weise eingeschränkt, dies gilt auch für die Personen, die nicht am Projekt teilnehmen.
  • Bei der Einschreibung werden die gesundheitlichen Zielvorstellungen und Erfahrungen mit der Bewältigung von Einschränkungen besprochen, zusätzlich erfolgt eine Check-Up-Untersuchung, um dann gemeinsam das individuelle Entwicklungspotenzial und entsprechende Behandlungsziele herauszuarbeiten.
  • Gesundheitsprogramme für die Bevölkerung wurden entwickelt. Vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen fühlten sich anfangs angesprochen, inzwischen jedoch hat sich der TeilnehmerInnenkreis ausgeweitet.
  • Die Klassischen Abrechnungswege werden nicht verlassen, sondern ergänzt: Die Beteiligten ÄrztInnen/TherapeutInnen erhalten Zusatzvergütungen für genau definierte Leistungen, um die ambulante vor der stationären Leistungserbringung zu begünstigen.
  • Der wirtschaftliche Ertrag entsteht nicht aus der Anzahl der erbrachten Leistungen, sondern aus dem erzielten Gesundheitsnutzen für die Bevölkerung der Region. Daraus entsteht ein Anreiz, in die Erhaltung und  die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung zu investieren. Sei es durch medizinische oder soziale Aktivitäten, durch Aufklärung, Bewegungskampagnen oder Programme für besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen.
  • Ziel ist es, Über-, Unter- und  Fehlversorgungen aufzudecken und zu vermeiden. Dazu wird das Programm sehr gut begleitet und evaluiert.

Statt die Unbeweglichkeit des Systems zu bejammern, könnte ein solches Modellprojekt die Sinnhaftigkeit und den Nutzen eines Paradigmenwechsels hin zu mehr Gesundheit, Regionalisierung, Vernetzung und Interdisziplinarität aufzeigen. Es könnte sich auch für die Steiermark lohnen, zumindest eine Modellregion zu definieren und dort eine integrierte regionale Versorgung aufzubauen. Dies würde neben dem offensichtlichen Nutzen für die Menschen der Region auch den Gemeinden neuen Sinn geben und Nutzen stiften. Die beklagten Probleme, genügend HausärztInnen zu bekommen (Kommunal-Zeitschrift März 2012) würden sich so genauso lösen lassen wie das Problem, wenig qualifizierte Arbeitsplätze anzubieten. Die für diese Projekte nötigen interdisziplinären Teams führen dazu, dass gut ausgebildete Personen in Regionen gehen und dort hochwertige Arbeitsmöglichkeiten vorfinden.

Es wird daher der

Antrag

gestellt:

Der Landtag wolle beschließen:

Die Landesregierung wird aufgefordert,
  • den für die Zukunft der Steiermark wichtigen Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik einzuleiten und ein Modellprojekt der integrierten, regionalen Versorgung durchzuführen. Dafür sollen die Erfahrungen aus dem Kinzigtal genützt werden\;
  • der Übernahme der bundesweiten Planung der höherschwelligen stationären Versorgung zuzustimmen bzw. diese zu betreiben, im Interesse bundesweit sinnvoller und zeitgemäßer Lösungen\;
  • die Finanzierung des Gesundheitsbereiches aus einer Hand zu forcieren und dem Bundesministerium für Gesundheit abzuverlange\;,
  • umgehend ein Steirisches Gesamtkonzept Gesundheit, das alle Versorgungsbereiche einbezieht, zu erarbeiten und dafür Verantwortliche aus allen Bereichen, die für Gesundheit relevant sind, einzubeziehen.


Unterschrift(en):
Ingrid Lechner-Sonnek (Grüne), Sabine Jungwirth (Grüne), Lambert Schönleitner (Grüne)