LANDTAG STEIERMARK
XVI. GESETZGEBUNGSPERIODE


EZ/OZ: 2492/1

Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT)

eingebracht am 24.01.2014, 10:28:41


Landtagsabgeordnete(r): Sabine Jungwirth (Grüne), Lambert Schönleitner (Grüne), Ingrid Lechner-Sonnek (Grüne)
Fraktion(en): Grüne
Zuständiger Ausschuss: Europa
Regierungsmitglied(er): Christian Buchmann

Betreff:
Geplantes Transatlantisches Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten

Seit Juli verhandelt die Europäische Kommission mit VertreterInnen der Vereinigten Staaten über ein Freihandelsabkommen, das binnen zwei Jahren die größte Freihandelszone der Welt schaffen soll: die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP. Den Menschen beiderseits des Atlantiks werden Wachstum und Arbeitsplätze versprochen. Der Handelskommissar der EU, Karel De Gucht, kündigt durch die Deregulierung des Marktes und den freien Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Investitionen einen Wachstumsschub im Ausmaß von 119 Milliarden Euro pro Jahr für die europäische Wirtschaft an, also eine Art Konjunkturpaket mit einem jährlichen Zusatzeinkommen von € 500 pro Familie.

In der Süddeutschen Zeitung vom 11. November bezweifelt Prof. Christoph Scherrer, Leiter des Fachgebiets Globalisierung und Politik der Universität Kassel und Direktor des "International Center for Development and Decent Work" diese Prognosen. Da auch Gesetze und Standards für alle denkbaren Branchen angeglichen werden sollen, gebe es "unglaublich viele Parameter, die man gar nicht alle berücksichtigen kann". Statt um Fakten dürfte es sich eher um neoliberales Wunschdenken handeln.

Scherrer erinnert an das Freihandelsabkommen Nafta zwischen den USA, Mexiko und Kanada. Die damaligen Versprechungen nach mehr Wachstum und Arbeit seien nicht eingetreten. Im Gegenteil, die Armut und Landflucht in Mexiko hätten zugenommen. Der Tagesspiegel vom 6.11.2013 bezeichnet die Prognosen De Guchts als "PR-Blase" und warnt vor einer weiteren Entmachtung der demokratisch gewählten Parlamente zu Gunsten transnationaler Konzerne.

Die Zölle zwischen den USA und der EU sind bereits weitgehend abgebaut und betragen im Durchschnitt nur noch 4%. Es kann also nur um den Abbau der so genannten nicht-tarifären Handelshemmnisse gehen. Das sind gesetzliche Standards in allen Bereichen, von sozialen Schutzbestimmungen über Menschen- oder Arbeitnehmerrechte bis zum Verbraucher-,  Gesundheits-, Umwelt-, Daten- und Urheberschutz.

Rein theoretisch könnte ein solches Freihandelsabkommen zu einer Anhebung von gesetzlichen Schutzstandards führen. Angesichts der bestehenden Interessenslagen und Machtverhältnisse müssen wir jedoch befürchten, dass das Gegenteil der Fall sein wird, weil die internationalen Konzerne den Inhalt des Abkommens maßgeblich prägen werden.

Gefährdet ist etwa das in Europa geltende Vorsorgeprinzip. Es verpflichtet Unternehmen nachzuweisen, dass ihre Produkte unschädlich sind. In den Vereinigten Staaten ist das genau umgekehrt: gentechnisch veränderte Pflanzen können so lange in Umlauf gebracht werden, bis der Nachweis von Risiken oder schädlichen Folgen gelingt.

Deshalb könnten unter anderem Tiergesundheits- und Ernährungsstandards unter die Räder kommen und gentechnisch veränderte Nahrungsbestandteile, bedenkliche industriell hergestellte Lebensmittel oder auch Klonfleisch in den Lebensmittelhandel Eingang finden.

Kürzlich hat Angelika Hilbeck, Agro-Ökologin der ETH Zürich, vor einer weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft durch die geplante Freihandelszone gewarnt. Landesrat Erich Schwärzler wird in einem Bericht der Vorarlberger Nachrichten folgendermaßen zitiert: "Das Freihandelsabkommen ist brandgefährlich für die multifunktionale Landwirtschaft." Noch mehr Tiere, noch mehr Natur werde damit ausgebeutet. "Wir sagen Nein zu diesem Abkommen. Ist das nicht umsetzbar, müssen wir dafür kämpfen, dass wir ein Selbstbestimmungsrecht bekommen."

Der drohende Abbau von Standards mit vielfältigen negativen Auswirkungen in den verschiedensten Lebensbereichen ist ein Aspekt. Ein anderer ist die Stärkung der Rechtsstellung von Investoren und transnationalen Konzernen.

Der amerikanische ÖL- und Gasproduzent Lone Pine Ressources Inc. hat Kanada auf eine Entschädigungszahlung von 250 Millionen Dollar verklagt, weil das Parlament ein Moratorium für Schiefergas- und Öl-Fracking beschlossen hat. Der Steuerzahler soll also Privatunternehmen für entgangene Profite aus verbotener Umweltzerstörung entschädigen. Die Gesetzeslage, die das ermöglicht, ist durch das Freihandelsabkommen Nafta geschaffen worden.

Die Wochenzeitschrift DIE ZEIT berichtet in ihrer Ausgabe vom 5. Dezember 2013 von einer Klage des Energieriesen Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland. Es gehe um 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz dafür, dass der Konzern infolge der deutschen Energiewende seine Atommeiler früher als geplant abschalten muss.

Das Verfahren findet nicht vor einem ordentlichen Gericht, sondern vor einem Schiedsgericht, dem International Centre für Settlement of Investment Disputes in Washington unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Berufungsmöglichkeit statt.

Auf der Basis von Investitionsschutzabkommen (Investor-State Dispute Settlement, ISDS) sehen internationale Freihandelsabkommen solche Schiedsgerichte vor. Damit wird das Primat der Konzerne über die Politik weiter gestärkt. Demokratische Entscheidungen werden ausgehebelt und der Spielraum der Politik weiter eingeengt. Deshalb haben über 100 internationale, europäische und amerikanische Nicht-Regierungsorganisationen von Greenpeace über ATTAC bis zum Internationalen Gewerkschaftsbund in einem Schreiben an Kommissar De Gucht am 16. Dezember 2012 gefordert, dass das Investor-State Dispute Settlement nicht in den Vertrag über die Freihandelszone USA-EU aufgenommen wird. 

"Der Staat tritt damit ein Stück seiner Souveränität ab, Ausscheren kann er sich dann finanziell kaum mehr leisten", lautet das Resümee von Prof. Scherrer in der Süddeutschen Zeitung. Gewinner seien die transnationalen Konzerne, Verlierer die mittelständischen Unternehmen und die BürgerInnen.

Das Europäische Parlament wird seiner demokratische Mitwirkungs- und Kontrollaufgaben beraubt. Das Verhandlungsmandat, das die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten der Kommission erteilt haben, ist geheim und wird dem Europäischen Parlament als direkt gewähltem Repräsentanten der 500 Millionen BürgerInnen Europas vorenthalten. Die Verhandlungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Erst nach Ende des Verhandlungsprozesses kann das europäische Parlament darüber befinden, Nachverhandlungen erzwingen oder es zurück an den Start schicken. Es ist inakzeptabel, dass eine Behörde über die Einschränkung oder Außerkraftsetzung von Gesetzen verhandelt und dem Vertreter des Souveräns Einblick, Mitwirkung und Kontrolle verwehrt.

Es wird daher der

Antrag

gestellt:

Der Landtag wolle beschließen:

1. Die Landesregierung wird aufgefordert, an die Bundesregierung heranzutreten und von dieser einzufordern, auf europäischer Ebene ihren Einfluss auf allen Ebenen dahingehend geltend zu machen, dass 
a) das Europäische Parlament laufend über den Fortgang der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zur Schaffung der Freihandelszone TTIP informiert wird und Zugang zu allen Verhandlungstexten erhält,
b) arbeitsrechtliche Normen und gesetzliche Standards für Produktsicherheit sowie für den Verbraucher-, den Gesundheits-, den Umwelt- und den Datenschutz nicht
gesenkt werden und
c) das Investor-State Dispute Settlement - das die Entschädigung von Investoren für einen behaupteten Verdienstentgang durch gesetzliche Standards erleichtern würde - nicht in den Freihandelsvertrag aufgenommen wird.

2. Der Landtag Steiermark spricht sich gegen den Abschluss eines Freihandelsabkommens  mit den Vereinigten Staaten aus, falls eine dieser drei Bedingungen nicht oder nur ungenügend erfüllt wird.

3. Die Landesregierung wird aufgefordert, an die Bundesregierung heranzutreten und diese aufzufordern, sich gegen den Abschluss eines Freihandelsabkommens  mit den Vereinigten Staaten auszusprechen, falls eine dieser drei Bedingungen nicht oder nur ungenügend erfüllt wird.


Unterschrift(en):
Sabine Jungwirth (Grüne), Lambert Schönleitner (Grüne), Ingrid Lechner-Sonnek (Grüne)