EZ/OZ: 3316/1
Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT)
eingebracht am 19.02.2015, 08:53:27
Landtagsabgeordnete(r): Ingrid Lechner-Sonnek (Grüne), Sabine Jungwirth (Grüne), Lambert Schönleitner (Grüne)
Fraktion(en): Grüne
Zuständiger Ausschuss: Gesundheit
Regierungsmitglied(er): Christopher Drexler (ÖVP)
Betreff:
Stärkung der Primärversorgung in allen steirischen Regionen
Der Gesundheitsbereich ist in Bewegung, und das in einem sehr großen Ausmaß. Folgende Probleme finden sich fast täglich in den Medien:
Die SpitalsärztInnen und ihre Arbeitszeit sind in aller Munde. In der Steiermark hat man rasch reagiert und das längst umzusetzende neue Dienstzeitgesetz für ÄrztInnen auf dem Verhandlungsweg abgesichert. Trotzdem gibt es Probleme an allen Ecken und Enden:
· Als logische Folge verkürzter Dienstzeiten ist es schwer, genug Stunden für den reibungslosen Betrieb von Kliniken und Abteilungen zu haben. Es kommt zu Versorgungsproblemen.
· Junge MedizinerInnen haben in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten im Turnus nicht vorgefunden, was man sich erwarten könnte: Als kostengünstiges Personal wurden sie oft zu Hilfsdiensten herangezogen, ob sie auch das fachliche Wissen und die Erfahrung erwerben konnten, für die dieser Teil der Ausbildung eigentlich steht, war vielfach von Zufällen und den Klinikleitungen abhängig. Lange Wartezeiten auf den Turnus stellten viele vor existenzielle Fragen und führten zu großen Lücken zwischen Studium und weiterer Ausbildung. Im klinisch-praktischen Jahr gab es in der Steiermark, anders als in anderen Bundesländern, keinen finanziellen Zuschuss für die Studierenden.
· Die Ausbildung zur Allgemeinmedizin ist in Österreich anders als in den meisten anderen Ländern noch immer keine Ausbildung auf Facharztniveau. Die nötige Praxiserfahrung holt man sich wenn möglich in der Lehrpraxis, in manchen Ländern sogar über einen Zeitraum von bis zu 2 Jahren. Eine finanzielle Unterstützung erhalten Jungärztinnen bei uns nicht von Landesseite, auch das eine schlechtere Ausgangslage als in anderen Jahren.
· Die starke Abwanderung junger MedizinerInnen nach dem Studium bzw. während der Ausbildung ist evident. Wenn anderswo die Ausbildungschancen größer und die Arbeitsbedingungen besser sind, gehen junge Menschen, die noch mobiler sind, dorthin. Wir verlieren den Output unserer Universitäten, ernten also nicht, was mit öffentlichem Geld finanziert wurde.
· In den nächsten 10 Jahren werden etwa 2/3 der derzeit praktizierenden AllgemeinmedizinerInnen in Pension gehen. Ihre Nachfolge ist nicht gesichert. Eine ungenügende Ausbildung, wenig Praxiserfahrung, eine geringe Attraktivität des Einzelkämpfertums am flachen Land, die geringe Aussicht, Beruf und Familie unter einen Hut bringen zu können, schlechte Abgeltung mancher Leistungen sind die Hürden.
· Immer mehr ÄrztInnen haben keinen Kassenvertrag, sondern arbeiten als WahlärztInnen. Da die Kassen nur einen Teil der Kosten ersetzen (maximal 80%), zahlen alle PatientInnen im Unterschied zum Besuch von KassenärztInnen automatisch hohe Selbstbehalte.
· Infolge großer Lücken der Erreichbarkeit bzw. der Ordinationszeiten in den Regionen nehmen viele Menschen die Dienste der Spitalsambulanzen in Anspruch, die im Verhältnis zum niedergelassenen Bereich wesentlich mehr kosten. Dies belastet vor allem die Krankenanstalten und damit auch das Landesbudget, die Kassen zahlen ja nur einen kleinen Fixbetrag.
· Die Bevölkerung sucht sich die Versorgung, wo und wann sie sie braucht. Die antiquierte Aufgaben- und Finanzierungsverteilung zwischen der öffentlichen Hand und den Sozialversicherungen führt also zu Lücken bei der niedergelassenen Versorgung, daher zu mehr Inanspruchnahme der Spitalsambulanzen, zu mehr Spitalsaufenthalten, zu höheren Ausgaben von Seiten des Landes. Und auf Seiten der PatientInnen, die WahlärztInnen aufsuchen, weil sie anderswo keinen Termin bekommen oder keine Kassenstelle vorfinden, zu Selbstbehalten.
· Im Land mit dem angeblich "!besten Gesundheitssystem der Welt", wie es gerne behauptet wird, werden die Menschen so alt wie international vergleichbar, erleben jedoch drastisch weniger Jahre in Gesundheit als in vergleichbaren Ländern (8 Jahre statt 1 Jahr). Dass dies mit mehr finanzieller Belastung für die öffentliche Hand einhergeht, aber auch mit viel menschlichem Leid, liegt auf der Hand. Der Fokus liegt auf der Behandlung von Krankheit, nicht auf der Stärkung der Gesundheit. Im internationalen Vergleich liegen wir sehr hoch bei der stationären Versorgung und der Zahl der Akutbetten, scheinen jedoch beim Erhalten der Gesundheit die rote Laterne anzustreben.
Es besteht Handlungsbedarf: für das Land, den Gesundheitsfonds, die Sozialversicherungen, die KAGes.
Die Rolle der Primärversorgung: Alles beginnt bei der Primärversorgung. Was dort nicht geleistet wird, schafft anderswo Probleme, die viel mehr kosten und mehr Leid nach sich ziehen als nötig. Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat 2014 im Rahmen einer Studie resümiert, dass der Ausbau der Primärversorgung nicht nur im Bundeszielsteuerungsvertrag von 2013 festgeschrieben ist, sondern auch massive Vorteile für die Versorgung und die Finanzen bringen kann: "Während die Bevölkerungsgesundheit durch die Primärversorgung steigt, kann der Anstieg der Gesundheitsausgaben gedämpft werden."
Die Primärversorgung ist der zentrale Schlüssel, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und gleichzeitig dem hohen Ressourcenverbrauch entgegenzuwirken, sagt das IHS: "Dieser Bereich schneidet in Österreich aus europäischer Sicht schwach ab und birgt daher die größten Verbesserungspotenziale". Wer nicht die stationäre Versorgung in Anspruch nimmt oder mangels frühzeitiger Behandlung chronisch erkrankt, trägt neben der gewonnenen Lebensqualität damit auch zur Entlastung der öffentlichen Haushalte bei. In den letzten Jahren haben dier Grünen etliche Vorstöße in diese Richtung unternommen, die Landesregierung war jedoch nicht interessiert bzw. bereit, sich damit zu befassen.
Kurz gesagt: In vielen Fällen von Befindlichkeitsstörungen braucht es eine kompetente Ansprechperson, die abzuklären hilft, was das Problem ist und wie man es lösen könnte. Im Idealfall kennt man diese Person schon länger, sie ist über die persönliche Krankheitsgeschichte informiert. Der Hausarzt, die Hausärztin ist dafür prädestiniert. Oft braucht es dann aber jemand, der Fragen der Pflege und Betreuung zu bearbeiten hilft, jemand, der in psychosoziale Themen versiert ist oder eine Person, mit der man die eigene häusliche und familiäre Situation durchbespechen kann. Interdisziplinäre Teams oder Zusammenarbeit über die Professionengrenze hinweg sind die zeitgemäße Antwort.
Solche Teams verlangt auch die Gesundheitsreform, festgehalten in den Zielsteuerungsverträgen. Bis Ende 2016 soll mindestens 1% der Bevölkerung des Landes durch eine multiprofessionelle und interdisziplinäre Primärversorgung betreut werden. Es ist jedoch keine Entwicklung sichtbar.
Der Gesundheitsfonds des Bundes und des Landes sind die einzige etablierte Struktur, in der die öffentliche Hand und die Sozialversicherungsträger institutionalisiert zusammen arbeiten. Land und Sozialversicherung müssen Projekte zur sektorenübergreifenden Finanzierung des ambulanten Bereiches auf die Beine stellen. Daraus ergibt sich, dass der Gesundheitsfonds sich umgehend und umfassend mit der Entwicklung und Umsetzung von Projekten der Primärversorgung in verschiedenen Regionen zu befassen hat. Der Landeszielsteuerungsvertrag ist einzuhalten!
Primärversorgung geht alle an und hat nicht nur mit dem Arztberuf zu tun. Die Bevölkerung reagiert mit Unsicherheit und Sorge auf all diese Entwicklungen, und das ist verständlich. Es braucht die Einbindung aller im Gesundheits- und Sozialbereich tätigen Professionen. Nicht um über Bezahlung zu verhandeln, sondern um die Erfahrungen und Sichtweisen in den Prozess einbringen zu können. Die Zusammenarbeit in Teams hat das Potenzial, das Einzelkämpfertum der vergangenen Jahre abzulösen und zur Entlastung jedes/jeder einzelnen, zur Kompatibilität von Beruf und Familie beizutragen.
Es wird daher der
Antrag
gestellt:
Der Landtag wolle beschließen:
Die Landesregierung wird aufgefordert,
1. die Debatte über eine zeitgemäße Primärversorgung und die nötigen Entwicklungen im Gesundheitsbereich öffentlich zu führen, da die Bevölkerung durch die Veränderungen der letzten Jahre verunsichert ist - Transparenz und Partizipation sind dringend nötig,
2. den angehenden AllgemeinmedizinerInnen mindestens 6 Monate Lehrpraxis durch einen monatlichen Betrag, vergleichbar mit anderen Bundesländern, zu ermöglichen bzw. zu erleichtern,
3. Unterstützungsmodelle für AllgemeinmedizinerInnen zu entwickeln, die ihnen die Niederlassung auch in entlegeneren Regionen erleichtern, z.B. nach bayrischem Vorbild,
4. die KAGes aufzufordern, gemeinsam mit der MedUni sicherzustellen, dass der Turnus nicht die Zeit der billigen Hilfskraft in den Spitälern ist, sondern der Ausbildung dient,
5. das Entlassungsmanagement in den Spitälern als eine Brücke zur Primärversorgung bzw. zur extramuralen Betreuung und Pflege auf- bzw. auszubauen, inhaltlich zu standardisieren und mit Personalressourcen abzusichern,
6. den Gesundheitsfonds damit zu beauftragen,
a) umgehend in mehreren Regionen des Bundeslandes Primärversorgungsmodelle aufzubauen, die den Ansprüchen des Bundeszielsteuerungsvertrages entsprechen und multiprofessionell und interdisziplinär aufgesetzt sind,
b) wie vorgesehen die gemeinsame Finanzierung von Pilotprojekten, die die bisherige Finanzierungslogik und ihre Dynamiken aufheben, zwischen Sozialversicherungen und dem Land auszuhandeln,
c) mit den Sozialversicherungen Anreizsysteme für AllgemeinmedizinerInnen und andere relevante Berufsgruppen zu entwickeln, um die Bereitschaft zur Niederlassung auch in entlegeneren Regionen zu unterstützen,
d) für die Einbindung aller relevanten Gruppen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich in die Projektentwicklung zu sorgen,
e) zur Vorlage innovativer Versorgungskonzepte einzuladen und diese zu fördern, und
f) Mittel für den Aufbau des neuen Primärversorgungssystems zur Verfügung zu stellen.
Unterschrift(en):
Ingrid Lechner-Sonnek (Grüne), Sabine Jungwirth (Grüne), Lambert Schönleitner (Grüne)