EZ/OZ: 1724/1
Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT)
eingebracht am 19.10.2021, 17:56:45
Landtagsabgeordnete(r): LTAbg. Sandra Krautwaschl (Grüne), LTAbg. Lambert Schönleitner (Grüne), LTAbg. Dipl.-Ing.(FH) Lara Köck (Grüne), LTAbg. Georg Schwarzl (Grüne), LTAbg. Veronika Nitsche, MBA (Grüne), LTAbg. Mag. Alexander Pinter (Grüne)
Fraktion(en): Grüne
Zuständiger Ausschuss: Gemeinden und Regionen
Regierungsmitglied(er): Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, Landeshauptmann-Stv. Anton Lang, Landesrätin Mag. Doris Kampus, Landesrätin Dr. Juliane Bogner-Strauß
Betreff:
Finanzierung der Sozialhilfe ins 21. Jahrhundert führen – Sozialhilfen gesetzlich verankern und Sozialhilfeverbände auflösen
1. Ausgangslage
Am Beginn des Schuljahres eskalierte die bereits seit Monaten angespannte Situation im Bezirk Liezen: aufgrund eines politischen Muskelspiels zwischen dem schwer angeschlagenen Sozialhilfeverband (SHV) Liezen und der Landesregierung wurde die Schulsozialarbeit im gesamten Bezirk ersatzlos gestrichen, wodurch 1.400 Schulkinder gerade während der ohnehin schwer belastenden Corona-Krise ohne diese wichtige Unterstützung auskommen müssen. Obwohl sich alle Beteiligten darüber einig waren, wie wichtig die Schulsozialarbeit ist und welch gute Arbeit diese im Bezirk Liezen verrichtet hat, konnten sich die Landesregierung und der Sozialhilfeverband (SHV) Liezen zu lange nicht über deren weitere Co-Finanzierung einigen. Offenkundig nützte der finanziell schwer angeschlagene SHV Liezen die Schulsozialarbeit als Faustpfand dafür, die Landesregierung zum Ersatz Corona-bedingter Mindereinnahmen in den eigenen Pflegeheimen zu drängen (kleinezeitung.at, Budgetloch bleibt – Sozialhilfeverband Liezen wartet weiter auf Zahlungen des Landes, 21.09.2021). Zwar wurde zuletzt erfreulicher Weise bekannt, dass der SHV Liezen die Schulsozialarbeit durch eine Finanzspritze der beteiligten Gemeinden zumindest für das restliche Schuljahr sichern konnte, wodurch die Schulsozialarbeit wenigstens ab November – und damit mit rund zweimonatiger Verspätung – gewährleistet scheint (kleinezeitung.at, Schulsozialarbeit geht weiter – Sozialhilfeverband Liezen bleibt nach Gemeinde-Zuschuss zahlungsfähig, 12.10.2021). Allerdings verdeutlicht der politische Konflikt zwischen SHV Liezen und der Landesregierung anschaulich, wie wenig sich das Konstrukt der Sozialhilfeverbände für eine zeitgemäße Finanzierung der Sozialhilfe im 21. Jahrhundert eignet.
Der SHV Liezen ist jedoch leider beileibe nicht der einzige Nachweis dafür, wie finanzielle Turbulenzen in einzelnen Sozialhilfeverbänden Gemeinden in finanzielle Nöte und die regionale Bevölkerung um die ihnen zustehende Sozialhilfeleistungen bringen. Dem SHV Bruck-Mürzzuschlag etwa werden zum Jahresende nicht wie bisher angenommen 1,9 Millionen Euro, sondern 2,6 Millionen Euro fehlen, weshalb sowohl ÖVP- als auch FPÖ-Vertreter*innen bei den in der Verbandsversammlung zu fassenden Budgetbeschlüssen nicht mitstimmten (kleinezeitung.at, ÖVP-FPÖ-Schulterschluss – Heftige Kritik an der Kostenexplosion im Sozialhilfeverband, 29.06.2021). Zwei der sechs Sozialhilfeverbände, die selbst stationäre Pflegeeinrichtungen betreiben (vgl Homepage des Landesverbands Altenpflege Steiermark), stehen somit mit schwerwiegenden finanziellen Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit.
Allerdings finden steirische Sozialhilfeverbände auch abseits finanzieller Schwierigkeiten eigener stationärer Einrichtungen ihren Weg in die Medien, wenn sie etwa Ansprüche auf Steuermillionen über Jahre nicht bemerkten (kleinezeitung.at, Großer Schaden – Sozialhilfeverbände „vergaßen" Millionenbeträge bei der Finanz abzuholen, 19.12.2020) oder sich der frisch gewählte Obmann öffentlich für die Abschaffung der Sozialhilfeverbände ausspricht, da der Verband von „einem 100-Millionen-Budget […] über 500.000 Euro selbst verfügen“ könne, wofür „sich der Verwaltungsaufwand nicht“ auszahle (kleinezeitung.at, Knittelfeld – Frisch gewählter Obmann verlangt Aus für Sozialhilfeverbände, 22.10.2020). Nicht zuletzt stöhnen die im Zwangsverband zusammengefassten Gemeinden unter den ständig ansteigenden Sozialhilfeumlagen, die zwar aus den Gemeindekassen in die Sozialhilfeverbände fließen, über deren Verwendung die Gemeindevertreter*innen allerdings nur äußerst eingeschränkt bestimmen können (vgl etwa meinbezirk.at, Sozialhilfeverband – 0,01% Handlungsspielraum der Gemeinden, 18.10.2018).
Angesichts dieser wiederkehrenden und offenkundig auch nicht in den Griff zu bekommenden Schwierigkeiten ist dringend zu hinterfragen, inwiefern die Sozialhilfeverbände noch zweckmäßig sind, um die ihnen von Gesetz wegen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Dabei lohnt sich ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Sozialhilfeverbände ebenso wie ein Abgleich der steirischen Rechtslage mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
2. Entstehungsgeschichte und Aufgaben der Sozialhilfeverbände
Die Sozialhilfeverbände gingen 1977 aus den zuvor bestehenden Bezirksfürsorgeverbänden hervor, die wiederrum nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland in Übertragung der deutschen Rechtslage per Verordnung vom 03.09.1938 eingerichtet wurden (Seiten 15 f der Erl zu LGBl Nr 1/1977, Gesetz vom 9. November 1976 über die Sozialhilfe). Wie den Erläuterungen weiters zu entnehmen ist, fehlte diesen Bezirksfürsorgeverbänden ab 1945 die „rechtlich richtige Grundlage“, welche eben erst mit Inkrafttreten des Sozialhilfegesetzes 1977 (SHG 1977) vom Landtag Steiermark geschaffen wurde. Heime, die bis dahin vielfach von den Bezirksführsorgeverbänden geführt wurden, gingen nunmehr in das Vermögen der Sozialhilfeverbände über.
Als gesetzlich vorgesehene Pflichtaufgaben der Sozialhilfeverbände werden schon aus dem Gesetzestext des SHG 1977 ausschließlich die Verpflichtung zur Kostentragung für bestimmte Sozialleistungen normiert (vgl §§ 33 ff SHG 1977 idF LGBl Nr 1/1977). Ausdrücklich nur optional konnten die Sozialhilfeverbände (wie auch das Land und die Gemeinden als weitere Sozialhilfeträger) zudem gem §§ 17 f SHG 1977 idF LGBl Nr 1/1977sogenannte „soziale Dienste“ und „besondere Dienste für betagte Menschen“ erbringen, auf die Betroffene explizit keinen Rechtsanspruch hatten (§ 16 Abs 3 SHG 1977 idF LGBl Nr 1/1977). Demonstrativ zählt das SHG 1977 etwa Essenzustelldienst, vorbeugende Gesundheitshilfe und allgemeine und spezielle Beratungsdienste und die Unterbringung in Pflegeheimen, Altenheimen und Pflegestationen, die Hauskrankenpflege und Familienhilfe als soziale Dienste sowie Gesundheitsberatung, Errichtung und Förderung von Begegnungsstätten, Beförderungsdienste, Besuchsdienste, Schaffung von Altenzentren, Förderung des Heimplatzsparens und Ausbildung und Einsatz von Altenhelfern als besondere Dienste für betagte Menschen auf.
Wie aus den Erläuterungen hervorgeht, sah der Gesetzgeber „vor allem“ in diesen Diensten den „Vorteil des Gemeindeverbandes, welcher als Zweckverband den größeren Aufgaben leichter gerecht werden kann als eine einzelne Gemeinde.“ Und weiter: „Die lokale Politik hat sich mit der Schaffung, Organisation und Erhaltung solcher Einrichtungen zu befassen. Hier ist dem Einfallsreichtum kaum eine Grenze gesetzt. […] Diese Aufgaben sind aber ihrer Art nach ‚privatwirtschaftlicher Natur‘, d.h., daß die Träger die Einrichtungen schaffen und zum Teil kostendeckend betreiben können, weil mindestens ein Teil jener Personen, welche diese Einrichtung in Anspruch nehmen, den Aufwand auch bezahlen kann, wenn und soweit der ordentliche Haushalt richtig veranschlagt ist. Allerdings kann der einmalige außerordentliche Aufwand (z.B. Bauten, Einrichtung, Geräte, Maschinen) durch die laufenden Kosten im allgemeinen nicht gedeckt werden. Hierzu sind sicherlich finanzielle Aufwendungen erforderlich, welche über den Rahmen einer kleinen Gemeinschaft hinausgehen und daher zweckmäßig z.B. im Rahmen der Gemeindeverbände installiert werden“ (Seite 17 und 22 der Erl zu LGBl Nr 1/1977, Gesetz vom 9. November 1976 über die Sozialhilfe).
Exkurs: Schon anhand dieser Passagen in den Erläuterungen wird der maßgebliche Konstruktionsfehler der Sozialhilfeverbände ersichtlich: obwohl der Gesetzgeber die Hauptaufgabe der Sozialhilfeverbände in der Bereitstellung der sozialen Dienste und der besonderen Dienste für betagte Menschen und damit etwa im Betrieb von Pflegeheimen, mobilen Pflegediensten, „Altenzentren“ und vorbeugender Gesundheitshilfe ansah, überließ er es in weiterer Folge der freien Entscheidung der Sozialhilfeverbände, ob sie diese Sozialleistungen anbieten würden oder nicht. In anderen Worten: der Gesetzgeber schuf einen Pflichtverband, dessen Hauptaufgabe (das eigenständige Bereitstellen von bestimmten Sozialleistungen) auf Freiwilligkeit beruhte. Aufgrund dieser Freiwilligkeit betreiben etwa derzeit lediglich 6 der insgesamt 12 steirischen Sozialhilfeverbände eigene Pflegeheime, wird im Bezirk Liezen keine Schulsozialarbeit mehr angeboten und gibt es gravierende Unterschiede hinsichtlich Qualität und Quantität der in den Bezirken angebotenen Sozialleistungen.
Auch die – ohnehin in ihrer Pauschalität nicht mehr zeitgemäße – Annahme, eine kleine Gemeinde sei auf sich alleine gestellt nicht dazu in der Lage, die Errichtung einer stationären Einrichtung (zB eines Pflegeheims) zu finanzieren, rechtfertigt nicht die Weiterführung eines Zwangsverbands, wenn der Betrieb eben solcher stationären Einrichtungen in weiterer Folge optional bleibt. Sollte sich eine Gemeinde dazu entscheiden, etwa ein Pflegeheim zu errichten, stünde es ihr jedenfalls offen, gemeinsam mit anderen Gemeinden freiwillig einen Gemeindeverband zu gründen.
Die in den letzten Jahrzehnten stattfindende Entwicklung der Sozialhilfe und insbesondere der uneingeschränkt zu begrüßende Umstand, dass auch in der Steiermark immer mehr Sozialleistungen nicht aufgrund von Freiwilligkeit, sondern aufgrund von Rechtsansprüchen zu leisten waren, führte einerseits zu einem starken Rückgang der Aufgaben der Sozialhilfeverbände. Andererseits wurden immer neue Kostenbeteiligungen der Sozialhilfeverbände verankert (vgl etwa die diesbezüglichen Novellen des Stmk Behindertengesetzes oder des Stmk Jugendwohlfahrtsgesetzes). Demensprechend finden sich in der Neuverlautbarung des Sozialhilfegesetzes am 09.04.1998 (SHG 1998) nur mehr ein Bruchteil der ursprünglich vorgesehenen (optionalen) sozialen Dienste (vgl § 16 SHG 1998 idF LGBl Nr. 29/1998).
Immerhin werden im SHG 1998 erstmal explizit die Aufgaben der Sozialhilfeverbände normiert, wobei sich diese gem §§ 19 und 22 ff SHG 1998 idF LGBl Nr. 29/1998 (weiterhin) auf die Kostentragung beschränken. Erneut lediglich optional können die Sozialhilfeverbände zudem im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen alleine oder gemeinsam mit dem Land Leistungen erbringen (§ 19 Abs 2 SHG 1998 idF LGBl Nr. 29/1998).
An dieser Aufgabenverteilung hat sich bis zum heutigen Tag nichts mehr geändert. Auch nach der aktuellen Rechtslage beschränken sich die Pflichtaufgaben der Sozialhilfeverbände auf die anteilige Kostentragung, während es ihnen weiterhin offensteht, selbst soziale Einrichtungen zu betreiben oder zusätzliche Leistungen anzubieten. Diese Entwicklungen führten dazu, dass die Sozialhilfeverbände im Schnitt 99,45 % ihrer Ausgaben als Pflichtausgaben zu bewältigen haben, die im Wesentlichen von Bescheiden der Bezirkshauptmannschaften vorgegeben werden, wie Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer im Rahmen einer dringlichen Anfrage vom 18.09.2018 aus einer „Querschnittsprüfung“ der Sozialhilfeverbände durch die Abteilung 7 zitierte (Stenografischer Bericht der 41. Sitzung des Landtages Steiermark vom 18.09.2018).
3. Verfassungsrechtliche Vorgaben
Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des SHG 1977 geltende verfassungsrechtliche Grundlage für die Schaffung der Sozialhilfeverbände (Art 116 Abs 4 B-VG idF BGBl Nr 205/1962) wurde mit 01.01.1985 grundlegend novelliert. Seit dem BGBl Nr 490/1984 werden Gemeindeverbände in Art 116a B-VG geregelt, der im zweiten Absatz vorsieht, dass die zuständige Gesetzgebung im Interesse der Zweckmäßigkeit zur Besorgung von Angelegenheiten der Wirkungsbereiche der Gemeinde die Bildung von Gemeindeverbänden vorsehen kann, wodurch jedoch die Funktion der Gemeinden als Selbstverwaltungskörper und Verwaltungssprengel nicht gefährdet werden darf. Die zuständige Gesetzgebung darf Gemeindeverbände also nur dann zwangsweise per Gesetz oder Verwaltungsakt errichten, wenn
- diese Angelegenheiten der Wirkungsbereiche der Gemeinden verrichten,
- dies die Funktion der Gemeinden als Selbstverwaltungskörper und Verwaltungssprengel nicht gefährdet und
- dies im Interesse der Zweckmäßigkeit gelegen ist.
Hinsichtlich der sich aufdrängenden Frage, ob die den Sozialhilfeverbänden zukommenden Pflichtaufgaben solche des Wirkungsbereichs der Gemeinden sind, stellte der Verfassungsgerichtshof in Bezug auf die oberösterreichische Rechtslage bereits klar, dass die Sozialhilfeverbände „als Träger von Privatrechten die von der Bezirkshauptmannschaft bescheidmäßig […] angeordnete Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes selbst zu leisten“ hätten. Aus Art 118 Abs 2 B-VG ergebe sich wiederum „zweifelsfrei, daß die im Art 116 Abs 2 B-VG angeführten Angelegenheiten (nämlich die Privatwirtschaftsverwaltung der Gemeinden) zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden zu zählen“ seien (VfGH 06.10.1989, G 8/89).
Auch mit der Fragestellung, ob durch die Errichtung eines Zwangsgemeindeverbands zur Erledigung privatwirtschaftlicher Angelegenheiten eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf gemeindliche Selbstverwaltung erfolgt, hat sich der Verfassungsgerichtshof bereits auseinandergesetzt. In der Entscheidung vom 15.12.1994, B 1554/93 hält der Verfassungsgerichtshof fest, es bestehe ein rechtlicher Unterschied „zwischen der zwangsweisen Einbeziehung einer Gemeinde in einen Gemeindeverband und der Frage der rechtlichen Verpflichtung des Gemeindeverbandes, bestimmte Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde wahrzunehmen.“ Gegen ersteres bestünden keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken. Und tatsächlich haben auch die steirischen Sozialhilfeverbände die Wahl, ob sie im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslage Leistungen erbringen.
Im zentralen Unterschied zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt haben die steirischen Sozialhilfeverbände jedoch keine Wahlfreiheit, ob sie die ihnen gesetzlich vorgeschriebene Teilkostentragung der Sozialhilfe erfüllen oder nicht. Angesichts der Ergebnisse der von Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer zitierten Querschnittsprüfung durch die Abteilung 7, wonach „die Sozialhilfeverbände im Schnitt 99,45 % ihrer Ausgaben als Pflichtausgaben zu bewältigen haben, die im Wesentlichen von Bescheiden der Bezirkshauptmannschaften vorgegeben werden“, ist festzuhalten, dass die Sozialhilfeverbände und damit auch die zusammengeschlossenen Gemeinden hinsichtlich des überragenden Bestandteils ihres Ausgaben- und damit wohl Aufgabenbereichs keinerlei Entschlussfreiheit haben. Bereits insofern erscheint die Konstruktion der Sozialhilfeverbände verfassungsrechtlich zweifelhaft.
4. Zweckmäßigkeit der Sozialhilfeverbände
Erhärtet werden diese Zweifel an der Verfassungskonformität der Sozialhilfeverbände angesichts des Zweckmäßigkeitsgebots, dem per Gesetz oder Verwaltungsakt errichtete Gemeindeverbände seit 01.01.1985 unterliegen. Die Bildung eines Gemeindeverbands ist demnach dann im Interesse der Zweckmäßigkeit, „wenn durch die zwangsweise Errichtung eines Gemeindeverbands bei Besorgung übertragener Angelegenheiten eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen eingesetzten Mitteln und dem erzielten Ergebnis zu erwarten ist. Als ‚im Interesse der Zweckmäßigkeit‘ gelegen ist eine Übertragung von Angelegenheiten namentlich dann anzusehen, wenn Angelegenheiten unter Beachtung von Kosten und Nutzen am besten im Verbund mehrerer Gemeinden besorgt werden können […].“ Der Literatur ist weiters zu entnehmen, der Begriff „Zweckmäßigkeit“ stelle „auf eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen eingesetzten Mitteln und erzielten Ergebnis ab. Dieser Maßstab ist darauf ausgerichtet, dass unter mehreren wirtschaftlichen Möglichkeiten, die für die Verwirklichung einer bestimmten Angelegenheit zur Verfügung stehen, jener der Vorzug gebührt, ‚mit der sich das Ziel am besten erreichen lässt, die dem Zweck bestmöglich entspricht‘.“ Und weiter: „Ist die Bildung eines Gemeindeverbands nicht ‚im Interesse der Zweckmäßigkeit‘ gelegen, hat die zuständige Gesetzgebung die Bildung von Gemeindeverbänden zu unterlassen. Wird trotz Widerspruch zum ‚Interesse der Zweckmäßigkeit‘ die Bildung von Gemeindeverbänden vorgesehen, ist die einschlägige Regelung verfassungswidrig“ (Stolzlechner, Art 116a B-VG, in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar, Stand: Lfg. 26. (Juli 2021)).
Angesichts der öffentlichen Stellungnahmen, die rund um die Sozialhilfeverbände in den letzten Jahren von Verantwortlichen getätigt wurden, bestehen erhebliche Zweifel daran, dass deren „Angelegenheiten unter Beachtung von Kosten und Nutzen am besten im Verbund mehrerer Gemeinden besorgt“ werden können. Sei es der frisch gewählte Obmann des Sozialhilfeverbands Murtal, der für die Abschaffung der Sozialhilfeverbände eintritt, da der SHV Murtal von „einem 100-Millionen-Budget […] über 500.000 Euro selbst verfügen [könne, wofür] sich der Verwaltungsaufwand nicht aus[zahle]“ (kleinezeitung.at, Knittelfeld – Frisch gewählter Obmann verlangt Aus für Sozialhilfeverbände, 22.10.2020). Oder sei es Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer persönlich, der anlässlich der bereits angeführten Anfragebeantwortung weiters ausführte:
„Wichtig erscheint mir die Anregung der Abteilung 7 im Allgemeinen (sic!) Teil der Gebarungsprüfung, dass das Gesamtsystem der Trägerschaft der Sozialhilfe in der Steiermark auch im Vergleich zu anderen Bundesländern zu reformieren und die zusätzliche Verwaltungsebene der Verbände zu überdenken sei. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass, wie schon erwähnt, über 99 % der Ausgaben der Verbände Pflichtausgaben sind, die vom Verband nicht beeinflusst werden können. Die Verbände haben rechtlich auch keine Möglichkeit Bescheide der Bezirkshauptmannschaften zu hinterfragen, da sie im Leistungszuerkennungsverfahren keine Parteistellung haben und lediglich verpflichtet sind, die ihnen gesetzlich übertragene Aufgabe der einteiligen Kostentragung zu erfüllen. Dieser Umstand wurde laut Bericht der Kleinen Zeitung vom 29. August 2018 auch vom Obmann des Sozialhilfeverbandes Murtal bestätigt, der dazu meinte, dass sich das Verbandssystem im Laufe der Jahrzehnte überholt habe.
[…] Es soll anlehnend an die Aussage des erwähnten Obmannes die offene Diskussion darüber geben, ob das gegenwärtige System mit 12 Sozialhilfeverbänden wirklich noch das bestmöglichste ist, oder ob man, wie in anderen Bundesländern, auch ohne diese Verwaltungsebene auskommen kann“ (Stenografischer Bericht der 41. Sitzung des Landtages Steiermark vom 18.09.2018).
Als anlässlich der Landtagssitzung vom 28.09.2021 über die eingangs beschriebene Einstellung der Schulsozialarbeit im gesamten Bezirk Liezen debattiert wurde, machte SPÖ-Landtagsabgeordnete Michaela Grubesa den SHV Liezen als Verantwortlichen aus und forderte: „Das Konstrukt der SHV in der Steiermark sollte grundsätzlich überdacht werden, weil es nicht funktioniert" (kleinezeitung.at, Landtagssitzung – Frage nach Schulsozialarbeit in Liezen kaperte Tagesordnungspunkt, 28.09.2021).
Nunmehr ist die Frage der Zweckmäßigkeit der Sozialhilfeverbände aber keine rein politische, sondern – wie soeben dargelegt – auch eine rechtliche, zumal eine Regelung, die unzweckmäßige Zwangsverbände vorsieht, gegen die Verfassung verstößt.
Es obliegt sohin der Landesregierung, schnellst möglich abzuklären, ob das Konstrukt der Sozialhilfeverbände noch verfassungskonform ist und wie die Finanzierung der Sozialhilfe effizient und zukunftstauglich organisiert werden kann. Dabei ist darauf zu achten, dass das höchstmögliche Sozialleistungsniveau in allen steirischen Bezirken bereitgestellt wird und die Kosten gerecht verteilt werden.
Situationen wie derzeit in Liezen, wo die finanzielle Schieflage des Sozialhilfeverbands dazu führten, dass dieser bei Sozialleistungen spart bzw diese sogar zur Gänze strich, müssen der Vergangenheit angehören. Keinesfalls darf eine derartige Reform der Sozialhilfefinanzierung aber zu einem Abbau der bisher freiwillig von manchen Sozialhilfeverbänden erbrachten bzw finanzierten Sozialleistungen führen. Vielmehr ist eine gesetzliche Verankerung derartiger Leistung (zB der Schulsozialarbeit) vorzusehen, um deren landesweite Bereitstellung zu sichern. Andere Bundesländer haben bereits vorgezeigt, dass die Finanzierung der Sozialhilfe ohne zusätzliche Verwaltungsstrukturen aufgestellt werden kann.
Es wird daher der
Antrag
gestellt:
Der Landtag wolle beschließen:
Die Landesregierung wird aufgefordert, zur Sicherstellung eines bestmöglichen Sozialleistungsniveaus eine zeitgemäße Finanzierung der Sozialhilfe vorzusehen und zu diesem Zweck dem Landtag eine Regierungsvorlage über die gesetzliche Verankerung der bisher im Ermessen der Sozialhilfeverbände liegenden Sozialhilfen und die Auflösung der Sozialhilfeverbände vorzulegen.
Unterschrift(en):
LTAbg. Sandra Krautwaschl (Grüne), LTAbg. Lambert Schönleitner (Grüne), LTAbg. Dipl.-Ing.(FH) Lara Köck (Grüne), LTAbg. Georg Schwarzl (Grüne), LTAbg. Veronika Nitsche, MBA (Grüne), LTAbg. Mag. Alexander Pinter (Grüne)