EZ/OZ: 1931/1
Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT)
eingebracht am 17.01.2022, 16:50:51
Landtagsabgeordnete(r): LTAbg. Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ), LTAbg. Dr. Werner Murgg (KPÖ)
Fraktion(en): KPÖ
Zuständiger Ausschuss: Klimaschutz
Regierungsmitglied(er): Landesrätin Mag. Ursula Lackner, Landesrat Werner Amon, MBA
Betreff:
Kündigung des EURATOM-Vertrags
Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, EURATOM, ist einer der drei Gründungsverträge der heutigen Europäischen Union. Seit seinem Inkrafttreten 1958 hat er kaum Änderungen erfahren.
In der Präambel des EURATOM-Vertrages heißt es:
"In dem Bewusstsein,
dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt;
entschlossen die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernenergie zu schaffen, welche die Energieerzeugung erweitert, die Technik modernisiert und auf zahlreichen anderen Gebieten zum Wohlstand ihrer Völker beiträgt; …
haben wir beschlossen, eine europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) zu gründen."
Aufgrund seines Status als „lex specialis“ darf die weiterentwickelte EU-Umweltpolitik nicht regulierend in Fragen der Kernenergie eingreifen. Das europäische Parlament hat keine Mitentscheidungsmöglichkeit bei der Finanzierung von Atomkraftwerken durch die EURATOM-Milliardenkredite. Auch die inzwischen im EU-Recht etablierten Formen der europaweiten Bürgerbeteiligung gelten nicht für Akte im Rahmen des EURATOM-Vertrags. Er muss damit als ein Relikt aus der Frühphase der europäischen Politik betrachtet werden.
Sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Themensetzung als auch mit Blick auf Transparenz und Entscheidungsverfahren ist EURATOM nicht mehr zeitgemäß. Er war ein Ausdruck der allgemeinen Kernenergie-Euphorie der 1950er Jahre. Die Lehren aus Tschernobyl und Fukushima finden sich darin nicht.
Immer wieder wird der EURATOM-Vertrag von der Europäischen Kommission als Grundlage für die Behauptung herangezogen, dass der Ausbau von Atomkraft gemeinsames Interesse der EU ist. Der Atomwirtschaft werden durch den EURATOM-Vertrag EU-weite Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Energieträgern eingeräumt.
Als „unentbehrlich“ kann die Atomkraft heute nicht mehr gelten. Es gibt Alternativen zur Atomkraft, die billiger und sicherer sind. Und diese wären ohne die massive Subventionierung der Atomkraft und bei Einbeziehung aller Kosten auch kostengünstiger.
Die EU-Kommission schätzt bis zum Jahr 2050 die nötigen Investitionen im Nuklearbereich auf mindestens 650 Milliarden Euro, davon 250 Milliarden allein für die Entsorgung von Altlasten und die Suche nach Endlagerstellen. Etwa 400 Milliarden werden für den Bau neuer AKWs veranschlagt. Ohne die finanzielle Förderung der Atomkraft durch EURATOM wäre die Kernkraft schon längst nicht mehr konkurrenzfähig.
Atomkraftwerksbetreiber haften zudem nur sehr begrenzt für eventuelle Schäden und sind nur ungenügend versichert. In den meisten Ländern liegt die Haftungsbeschränkung für Atomkraftwerke bei wenigen hundert Millionen Euro. In Deutschland deckt der Versicherungspool der Betreiberseite Schäden bis zu 256 Mio. Euro ab. Eine Studie Münsteraner Wissenschaftler kam zu dem Ergebnis, dass eine Kernschmelze in Deutschland Schäden in Höhe von 5 Billionen Euro verursachen könnte. Um einen Schaden von 5 Billionen Euro zu versichern, wäre nach Berechnungen des Forums ökologisch-soziale Marktwirtschaft eine Haftpflichtprämie von 287 Mrd. Euro pro Jahr fällig. Atomkraft wäre unter Berücksichtigung dieser Kosten unbezahlbar.
Österreich ist - trotz seines Neins zur Nutzung der Atomenergie - Mitglied bei EURATOM und zahlt jährlich mehr als 40 Millionen Euro an Fördermittel für die europäische Atomenergie.
Mit dem Vertrag von Lissabon 2009 hat EURATOM seine Stellung als erste Säule der Gemeinschaft verloren. In den EU-Verträgen (EUV und AEUV) von 2009 wird EURATOM nicht mehr erwähnt. Aber EURATOM existiert nach wie vor als Rechtsperson des Völkerrechts, beruhend auf völkerrechtlichem Vertrag, und verpflichtet die unterzeichnenden Staaten, die Atomenergie zu fördern.
Die unverhältnismäßige Atomsubventionierung muss der Vergangenheit angehören, denn sie führt zu einer enormen Verzerrung des europäischen Energiemarktes zum Nachteil der erneuerbaren Energien.
Das Gesamtbudget des EURATOM-Programms für den Zeitraum 2014-2018 betrug 1,6 Milliarden Euro. Der finanzielle Rahmen für 2019-2020 betrug 770,2 Mio. Euro. Und im Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) für 2021-2027 sind für EURATOM 2,4 Milliarden Euro vorgesehen.
Diese gewaltigen Summen wären weit sinnvoller für Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer nachhaltiger Energieerzeugung und Technologien eingesetzt. Österreich sollte daher ein deutliches Zeichen setzen und endlich aus dem EURATOM-Programm aussteigen. Es ist sicherzustellen, dass Österreich keine öffentlichen Gelder für Atomkraft zur Verfügung stellt. Konsequenterweise muss daher Österreich auch aus EURATOM aussteigen.
Entgegen anderer Behauptungen ist der Ausstieg auch möglich, ohne dass damit die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union berührt würde. Drei Rechtsexperten (Univ.-Prof. Manfred Rotter/Linz, Univ.-Prof. Michael Geistlinger/Salzburg und Univ.-Prof. Bernhard Wegener/Erlangen-Nürnberg) haben in Gutachten unabhängig voneinander die völkerrechtliche Möglichkeit eines Austritts aus dem EURATOM-Vertrag bestätigt:
Da der EURATOM-Vertrag keine Kündigungsbestimmung enthält, sind die völkerrechtlichen Bestimmungen über die Beendigung völkerrechtlicher Verträge anwendbar, insbesondere die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969.
Ergänzend ist auch eine Kündigung gem. Art. 62 Abs. 1 WVK zulässig („Wegfall der Geschäftsgrundlage“). Die Umstände, unter denen der EURATOM-Vertrag geschlossen wurde, sind nämlich heute grundlegend geändert und die mit dem Vertragsschluss verbundenen Erwartungen nicht mehr erfüllbar, was ebenfalls einen Kündigungsgrund darstellt.
Die Einbettung der Europäischen Atomgemeinschaft in die EU ist dabei kein Hindernis, da er rechtlich selbständig ist und eine eigene Gemeinschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen hat. Auch folgt aus dem Beitritt zur EU im Falle Österreichs (im Gegensatz etwa zu Gründungsstaaten der Europäischen Atomgemeinschaft) nicht die Unmöglichkeit der Kündigung eines Gemeinschaftsvertrages.
Jahrelange Versuche, eine umfassende Reform des EURATOM-Vertrages einzuleiten, scheiterten am Einstimmigkeitsprinzip. Eine Änderung der Situation ist weder kurz- noch mittelfristig in Aussicht, zu verschieden sind die Auffassungen der Mitgliedsstaaten. Der jüngste Vorstoß der EU-Kommission zur Aufnahme der Atomenergie in die sogenannte Taxonomie wird von der österreichischen Bundesregierung abgelehnt. Obwohl auch andere Staaten, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, angekündigt haben Widerstand zu leisten wird sehr schnell klar, dass die Meinungen innerhalb der EU weit auseinandergehen und keine Einigung im Sinne des österreichischen Volkes erreicht werden kann.
Es wird daher der
Antrag
gestellt:
Der Landtag wolle beschließen:
- Der Landtag Steiermark spricht sich für den Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag aus.
- Die Steiermärkische Landesregierung wird ersucht, die Bundesregierung aufzufordern, im Sinne einer aktiven Anti-Atompolitik den Austritt Österreichs aus EURATOM konsequent zu betreiben.
Unterschrift(en):
LTAbg. Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ), LTAbg. Dr. Werner Murgg (KPÖ)