EZ/OZ: 2554/1
Schriftliche Anfrage an ein Mitglied der Landesregierung (§ 66 GeoLT)
eingebracht am 03.10.2022, 15:04:57
Landtagsabgeordnete(r): LTAbg. Georg Schwarzl (Grüne), LTAbg. Sandra Krautwaschl (Grüne), LTAbg. Dipl.-Ing.(FH) Lara Köck (Grüne), LTAbg. Veronika Nitsche, MBA (Grüne), LTAbg. Andreas Lackner (Grüne)
Fraktion(en): Grüne
Regierungsmitglied(er): Landeshauptmann-Stv. Anton Lang
Frist: 05.12.2022
Betreff:
Umgang mit invasiven Schildkrötenarten in der Steiermark
Seit jeher trägt der Mensch dazu bei, dass sich verschiedenste Tier- und Pflanzenarten in Gebieten ausbreiten, in denen sie ursprünglich nicht vorkommen. Wir schleppen sie als blinde Passagiere an Bord von Schiffen ein oder importieren sie als Haustiere oder Ziergewächse. Diese sogenannten invasiven Arten haben in ihrer neuen Heimat oft keine Feinde. Sie breiten sich ungehindert aus, verdrängen heimische Arten und gefährden die Artenvielfalt (https://science.orf.at/v2/stories/2826143/). Um den damit verbundenen Artenverlust entgegenzutreten, wurden Verordnungen auf EU- und Landesebene erlassen (https://www.neobiota.steiermark.at/cms/ziel/154439575/DE/), die den Umgang mit gebietsfremden Arten in der Europäischen Union bzw. in der Steiermark regeln.
Weniger bekannt ist, dass auch eine als Haustier beliebte Schildkrötenart zu diesen vielfaltsbedrohenden Neuankömmlingen gehört: Die Nordamerikanische Schmuckschildkröte (Trachemys scripta) mit den bekanntesten Unterarten, der Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) und der Gelbwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta scripta). Viele dieser Tiere wurden in Aquaterrarien gehalten, aber leider gesetzwidrig in der heimischen Natur ausgesetzt, weil sie ihnen entweder zu groß oder zu lästig geworden sind. Dort sind die Tiere ein Konkurrent für die heimische Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), aber auch als Fressfeind eine Gefahr für eine Vielzahl an Amphibien- und Wasserinsektenlarven. Daher gilt die Art in Europa seit 13. Juli 2016 als invasiv, allerdings wurde der Import der Rotwangen-Schmuckschildkröten Unterart schon im Jahr 1997 in die EU untersagt.
Ein Jahr vor dem Importstopp wurden offiziell noch mehr als 2 Millionen (2.240.172) Rotwangen-Schmuckschildkröten nach Europa importiert. Die Auswirkungen dieses Schildkrötenhandels sind noch heute zu spüren, zum Beispiel bei der Erhaltungszucht- und Forschungsstation Turtle Island. Bei dieser vorbildlichen Einrichtung, die sich dem Erhalt der Schildkröten verschrieben hat, werden nämlich seit langem ausgesetzte Schmuckschildkröten abgegeben. Eigentlich beschäftigt sich Turtle Island mit dem Erhalt und der Zucht von seltenen, vom Aussterben bedrohten Schildkrötenarten. Denn 62% aller Schildkrötenarten sind bereits ausgestorben oder akut davon bedroht. Allein in den letzten 10 Jahren sind 10 Unterarten für immer verschwunden (turtle-island.at). Die Einrichtung und vor allem ihr Obmann und wissenschaftlicher Leiter Dr. Peter Praschag sind weltweit anerkannt und leisten großartige Naturschutzarbeit zum Erhalt dieser bedrohten Reptilien-Ordnung. In den vier steirischen Standorten von Turtle-Island werden ca. 2.500 Schildkröten aus 230 verschiedenen Arten gehalten und vermehrt, um sie in ihren Ursprungsgebieten auszuwildern. Deshalb wurde die Einrichtung im Jahr 2019 auch zu einem Zoo der Kategorie A ernannt.
Schon im Jahr 2015 wurde Turtle Island auch offiziell als Tierheim anerkannt, seit damals nimmt die Einrichtung auch vermehrt Schildkröten von Privatbesitzer:innen oder aufgelesene Tiere auf, korrigieren die Pflegerückstände („Aufpäppeln“) und vermitteln die Tiere weiter. Das Weitervermitteln ist aber aufgrund der Verordnungen zu den gebietsfremden Arten bei den Schmuckschildkröten nicht erlaubt. Turtle Island kümmert sich im Moment (Stand 20.09.2022) um 112 Schmuckschildkröten, darüber hinaus werden aber jährlich auch viele andere nicht-invasive Arten betreut. Laut zwei unterschiedlichen Gutachten (beauftragt von Turtle Island) liegen die Kosten für die Unterbringung eines mittelgroßen Reptils zwischen 6 € und 7,05 € pro Tag. Diese Kostenschätzungen stammen aus dem Jahr 2011. Die Reptilienhaltung ist eine sehr energieintensive ist (Aquaterrarien, Beheizung, künstliche Lichtquellen etc.). Daher wirkt sich die aktuelle Teuerungswelle besonders drastisch aus. Aber selbst bei einer Rechnung auf Basis dieser veralteten Gutachten kommt man auf über 280.000 € pro Jahr für die Betreuung der 112 Schmuckschildkröten!
Obwohl Turtle Island ein offiziell anerkanntes Tierheim ist, bekommt es für diese Leistung keine Entschädigung durch das Land Steiermark, da die Einrichtung auch auf mehrmalige Nachfrage keinen Rahmenvertrag zur Verwahrung von Schildkröten bekommen hat. In der Beantwortung einer Anfrage der KPÖ „Rahmenvertragsansuchen von Turtle Island“ (EZ/OZ 2331/1) hält die Landesregierung dazu fest: „Die Frage, welche Kriterien für die Abwicklung eines Rahmenvertrags von „Turtle Island“ nicht erfüllt würden, wird dahingehend beantwortet, dass „Turtle Island“ alle Voraussetzungen - wie auch alle anderen Vertragspartner mit denen entsprechende Verträge abgeschlossen wurden – für einen potenziellen Vertragsabschluss erfüllt, derzeit aber kein Bedarf an weiteren Unterbringungsplätzen, insbesondere für Schildkröten, besteht.“
Das würde bedeuten, dass die vorhandenen steirischen Tierheime mit Rahmenvertrag genügend Platz und Ressourcen haben müssten, um aufgelesene oder abgegebene Schildkröten unterzubringen. Diese Ansicht muss in Zweifel gezogen werden: Vor dem Hintergrund der vermehrten Schildkröten-Sichtungen, allein in den Gewässern im Großraum Graz (z.B. https://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/6176830/Ueberwintern-sogar-hier_Das-steckt-hinter-den-Schnappschuessen-von), ist es schwer vorstellbar, dass die ohnehin überlasteten Tierheimkapazitäten (z.B. https://www.kleinezeitung.at/steiermark/muerztal/6083988/Tierheime-gehen-ueber_Hundekauf-mit-Hirn-nicht-nur-mit-Herz) ausreichen. Zudem sind nicht alle Tierheime auf die Unterbringung von Schildkröten eingerichtet. In einem ORF-Bericht stellt dazu auch der zoologische Abteilungsleiter des Tiergarten Schönbrunn fest, dass die Abgabe von Schildkröten an Tierheime keine gute Lösung darstellt, denn „Tierheime sind eher auf Katzen und Hunde ausgerichtet, sie sind meist hoffnungslos überlastet und auf Schildkröten einfach nicht eingestellt“ (https://science.orf.at/v2/stories/2826143/).
Quellen:
https://www.academia.edu/8565969/NOBANIS_Invasive_Alien_Species_Fact_Sheet_Trachemys_scripta
https://kurier.at/chronik/oesterreich/ich-muesste-jetzt-schildkroeten-toeten/400051817
https://www.neobiota.steiermark.at/cms/beitrag/12776702/157808951/
Es wird daher folgende
Schriftliche Anfrage
gestellt:
1. Da invasive Arten einerseits ein Problem für den Naturschutz darstellen, anderseits als Fund- und Abgabetiere in die Verantwortung des Tierschutzes fallen, ist nun der Tierschutz oder der Naturschutz innerhalb der Abteilung 13 für invasive Schmuckschildkröten zuständig, oder sind es beide?
2. Liegen der Landesregierung Daten vor, wie viele invasive Schildkröten in der Steiermark (in Haushalten bzw. in der Natur) vorkommen?
3. Wie viele Schildkröten sind in den steirischen Tierheimen mit Rahmenvertrag untergebracht, und welcher Art (bzw. Unterart) gehören sie an?
4. Wie hoch sind die im Rahmenvertrag festgesetzten täglichen Entgelte für die Unterbringung (Verwahrung) eines mittelgroßen Reptils?
5. Wieviel kostet diese Unterbringung der Schildkröten pro Jahr?
6. Wie groß sind die Kapazitäten der steirischen Tierheime bezüglich Schildkröten insgesamt?
7. Wie sehen die Unterbringungsbedingungen der Schildkröten in den Tierheimen aus?
8. Haben die Tierheime Schildkröten- oder Reptilien-Expert:innen unter den Mitarbeiter:innen? Wenn ja, welche Ausbildung haben diese? Wenn nein, wie kann eine tierwohlgerechte Unterbringung gewährleistet werden?
9. Kann Turtle Island alle abgegebenen Schildkröten, die nicht dem Artenschutz dienen, an die steirischen Tierheime mit Rahmenvertrag abgeben?
10. Plant die Landesregierung vor dem Hintergrund der Teuerungswelle eine finanzielle Unterstützung für Turtle Island?
11. Welche Strategie verfolgt die Landesregierung zu den invasiven Schildkrötenarten, vor dem Hintergrund der großen Schildkrötenzahl allein in den Gewässern des Großraums Graz? Ist diese Strategie mit der für den Naturschutz zuständigen Landesrätin abgestimmt, wenn ja inwiefern?
12. Ist das Land bei an eine Behörde übergebenen invasiven Schmuckschildkröten für die Unterbringung und Kostentragung zuständig?
13. Ist das Land bei an eine Behörde übergebenen invasiven Schmuckschildkröten für die Kostentragung zuständig, wenn diese Schildkröten in der Folge an Turtle Island überstellt werden?
14. Ist das Land bei direkt an Turtle Island übergebenen invasiven Schmuckschildkröten für die Kostentragung zuständig, wenn die Übergabe von öffentlichen Organen (wie Feuerwehr, Polizei, etc.) erfolgt?
15. Ist das Land bei direkt an Turtle Island übergebenen invasiven Schmuckschildkröten für die Kostentragung zuständig, wenn die Übergabe von Privatpersonen erfolgt?
16. Falls das Land für die Kostentragung in einzelnen der in den Fragen 12 bis 15 angeführten Fällen nicht zuständig sein sollte, wer sollte die anfallenden Kosten konkret tragen?
Unterschrift(en):
LTAbg. Georg Schwarzl (Grüne), LTAbg. Sandra Krautwaschl (Grüne), LTAbg. Dipl.-Ing.(FH) Lara Köck (Grüne), LTAbg. Veronika Nitsche, MBA (Grüne), LTAbg. Andreas Lackner (Grüne)