LANDTAG STEIERMARK
XVIII. GESETZGEBUNGSPERIODE


EZ/OZ: 399/1

Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT)

eingebracht am 12.03.2020, 17:29:17


Zu:
165/12 Novellierungen des Stmk. Raumordnungs- und des Stmk. Baugesetzes
(Bericht (§ 36 GeoLT))

Landtagsabgeordnete(r): LTAbg. Lambert Schönleitner (Grüne), LTAbg. Sandra Krautwaschl (Grüne), LTAbg. Dipl.-Ing.(FH) Lara Köck (Grüne), LTAbg. Georg Schwarzl (Grüne), LTAbg. Veronika Nitsche, MBA (Grüne), LTAbg. Mag. Alexander Pinter (Grüne)
Fraktion(en): Grüne
Zuständiger Ausschuss: Klimaschutz
Regierungsmitglied(er): Landesrätin Mag. Ursula Lackner

Betreff:
Klimaschutz in der Raumordnung nicht länger ignorieren!

Seit Bestehen der Shopping City Seiersberg wird mit Tricksereien versucht, den Bestand rechtlich zu sanieren. Diese rechtsstaatlich äußerst bedenklichen Versuche der Landesregierung müssen endlich gestoppt werden. Auch wirtschaftspolitisch ist der fragwürdige Kniefall der Landesregierung kontraproduktiv: Der Grazer Innenstadt-Wirtschaft, die ohnedies vor schwierigen Herausforderungen steht, wird seit vielen Jahren großer Schaden zugefügt.

Die Bevorzugung der Shopping City Seiersberg gegenüber zentrumsgebundenen Handelsbetreiben in Graz und in den Regionen ist klimaschädlich und somit zukunftsvergessen. Solange die Landesregierung die Klimaschädlichkeit von EZ-Tempeln in der Peripherie ignoriert oder sogar bestreitet, wie in der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage durch die zuständige Landesrätin am 10. März 2020, ist eine seriöse Diskussion über die Klimaschädlichkeit des Stmk. ROG und der darauf bezogenen Politik der Landesregierung nicht möglich. 

Eine Kurswechsel in der Klimapolitik der Landesregierung erfordert einen Kurswechsel in der Raumordnungspolitik.

Der Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft an den Landtag Steiermark (2016-2017) beschäftigte sich eindringlich mit den rechtlichen Missständen. In den Jahren 2002 und 2003 wurde in der Gemeinde Seiersberg ein Shopping Center mit rund 55.200 m2 Verkaufsfläche errichtet, das ursprünglich aus vier Geschäftshäusern bestand. Die einzelnen Bauplätze waren im Flächenwidmungsplan als Baugebiete für Einkaufszentren ausgewiesen und durch öffentliche Verkehrsflächen voneinander getrennt. Am 11. Juli 2006 erteilte der Bürgermeister die Baubewilligung zur Errichtung eines weiteren Geschäftshauses. Die fünf Gebäude wurden im Erd- wie im Obergeschoß miteinander verbunden, wobei in den Verbindungsbauten Geschäfte untergebracht sind.

Nach Ansicht der Volksanwaltschaft handelt es sich bei den überdeckten, überwiegend umschlossenen Verbindungsbauten mit Verbindungsgängen in 2 Ebenen, auf denen teilweise Waren ausgestellt und verkauft werden, um Gebäude nach dem Stmk Baugesetz (§ 4 Z 29), nicht jedoch um Bestandteile von öffentlichen Straßen, bauliche Anlagen im Zuge von Straßen, Brücken oder um andere Straßenbauwerke (§§ 2 Abs 2 und 10 Stmk LStVG 1964).

Mit einem auf Art 139 Abs 1 Z 6 iVm Art 148i Abs 1 B-VG und Art 45 Stmk L-VG 2010 gestützten Antrag begehrte die Volksanwaltschaft beim Verfassungsgerichtshof, die Verordnungen der Gemeinde Seiersberg betreffend sogenannte „Interessentenwege“ zwischen den Gebäudeteilen der Shopping City Seiersberg als gesetzwidrig aufzuheben. Mit seiner Entscheidung vom 02.07.2016 (V 157-160/2015-23, V 33-35/2016-18) hob der Verfassungsgerichtshof schließlich die Verordnungen (zum 15.01.2017) auf.

Um eine rechtliche Sanierung zu erreichen, brachte die Gemeinde Seiersberg-Pirka am 30.05.2016 bei der Abteilung 13 (Umwelt und Raumordnung) des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung einen Antrag auf Erlassung einer „Einzelstandortverordnung" für die SCS ein. Die Abteilung 13 führt seither das aufgrund der Bestimmungen des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 2010 gebotene Verfahren durch. In diesem Verfahren ergingen bisher einige Gutachten und Stellungnahmen. Auch die Stadt Graz brachte eine auf ein Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Thomas Müller, LL.M., vom 09.08.2016 gestützte negative Stellungnahme ein. Eine solche „Einzelstandortverordnung“ wurde bisher noch nicht erlassen.

Grund dafür ist wohl, dass eine rechtliche Sanierung auf anderem Wege versucht wurde: Mit 26.11.2016 trat eine Änderung des Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetzes 1964 (LStVG 1964) in Kraft: Durch die Einbeziehung der Begriffe „Eigentümer“ und „Benützer“ in die Legaldefinition öffentlicher Interessentenwege nach § 7 Abs 1 Z 5 des LStVG 1964 wurde versucht klarzustellen, dass nicht nur Besitzer- und BewohnerInnen im engeren rechtlichen Sinn, sondern auch die LiegenschaftseigentümerInnen und all deren KundInnen, LieferantInnen, Gäste sowie sonstigen NutznießerInnen ein entsprechendes Verkehrsinteresse an diesen haben. Auf der Grundlage dieser Gesetzesänderung beschloss die Gemeinde Seiersberg-Pirka am 13.12.2016 eine Verordnung, mit der die Verkehrsflächen und Verbindungsbauten neuerlich zu öffentlichen Interessentenwegen erklärt wurden.

Schon gegen die ursprünglich von der Volksanwaltschaft bekämpften und letztlich vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Verordnungen der Gemeinde Seiersberg-Pirka bestanden aber weit über die Gründe der Aufhebung hinausgehende verwaltungs- und verfassungsrechtlich Bedenken. Weil aber jene Bedenken, welche nunmehr durch die oben erwähnte Gesetzesänderung scheinbar „saniert“ wurden, für eine Aufhebung der Verordnungen genügten, setzte sich der Verfassungsgerichtshof mit den übrigen, schwerwiegenden Bedenken nicht mehr auseinander (siehe Punkt IV.2.4 bzw Rz 60 der Entscheidungsgründe des Verfassungsgerichtshofes vom 02.07.2016). Gerade jene Bedenken bestehen aber auch gegen die derzeit gültige Verordnung der Gemeinde Seiersberg-Pirka.

Die Stadt Graz hat am 25. Mai 2018 Beschwerde an die Volksanwaltschaft gemäß Art 148a Abs 1 und 148i Abs 1 B-VG in Verbindung mit Art 45 Stmk L-VG 2010 eingebracht. Durch die Beschwerde an die Volksanwaltschaft soll erreicht werden, dass sich diese mit einem entsprechenden Antrag auf Aufhebung der Verordnung der Gemeinde Seiersberg-Pirka vom 13.12.2016 neuerlich an den Verfassungsgerichtshof wendet. Der Antrag beruht auch auf einem einstimmigen Beschluss des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 17.05.2018.

Die Volksanwaltschaft hat im Juli 2018 neuerlich ein Prüfverfahren eingeleitet und im Dezember 2018 abermals den Verfassungsgerichtshof eingeschaltet, um einerseits die Verordnung der Gemeinde Seiersberg-Pirka als gesetzwidrig aufheben und die Änderung des Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetzes 1964 auf Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen.

Die Stadt Graz stützt sich in ihrer Beschwerde vor allem auf ein neuerlich in Auftrag gegebenes Gutachten von Herrn Univ.-Prof. Dr. Thomas Müller, LL.M., vom 09.01.2018 (Gutachten zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Novelle LGBl Nr. 137/2016 des Stmk Landes-Straßenverwaltungsgesetzes 1964 und zur Verwaltungs- und Verfassungsrechtskonformität der Interessentenwegeverordnung der Gemeinde Seiersberg-Pirka vom 13.12.2016, GZ.: 612-5/Interessentenwege/69 erstattet für die Stadt Graz). Dieses Gutachten belegt eindeutig die bestehenden Bedenken gegen die Rechtskonformität sowohl der Novelle des LStVG 1964 als auch der Verordnung vom 13.12.2016, sowie einer Einzelstandortverordnung.

Im Rahmen der Debatte zum Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft an den Landtag Steiermark (2016-2017) am 11. September 2018 im Verfassungsausschuss erklärte LRin Eibinger-Miedl auf eine Anfrage der Grünen, sie sei für diese Causa als Wirtschaftslandesrätin nicht zuständig und kenne das Müller-Gutachten gar nicht. Das hat verwundert, weil es ja immer wieder die Grazer Innenstadt-Wirtschaft und zentrumsgebundene Handelsbetreibe in den Regionen sind, die die sich klar gegen die politisch aktiv gesteuerte Schonung der Einkaufszentren-Betreiber zur Wehr setzen.

Auch der für das Stmk Landes-Straßenverwaltungsgesetzes 1964, der Interessentenwegeverordnung der Gemeinde Seiersberg-Pirka und der Erlassung einer Einzelstandortverordnung damals zuständige Landesrat und heutige Landeshauptmannstellvertreter Lang erklärte, das Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Müller nicht zu kennen. Das hat noch mehr verwundert, denn die Landesregierung bzw. die damals LR Lang unterstehende zuständige Abteilung wurde bereits im Juli 2018 von der Volksanwaltschaft um Stellungnahme zum Sachverhalt ersucht, wohl auf der Basis der von der Stadt Graz übermittelten Unterlagen, wozu auch das Gutachten gehört.

Aufgrund der fehlenden Kenntnis des Gutachtens haben die Grünen am 25.09.2019 in einem Schreiben an die Mitglieder der Landesregierung, die Mitglieder des Raumordnungsbeirates sowie die A13 und A3 zwei gutachterliche Stellungnahmen von Univ.-Prof. Thomas Müller, LL.M. sowie eine Stellungnahme der WKO, in der das einschlägige Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Merli zitiert wird, betreffend die Erlassung einer Einzelstandortverordnung in der Causa SCS Seiersberg versendet. Infolgedessen wurde die damals schon beabsichtigte und rechtlich äußerst fragwürdige Entscheidung über eine Einzelstandortverordnung im Raumordnungsbeirat vertagt.

Demnächst wird der Verfassungsgerichtshof über den plumpen Versuch der "Reparatur" über das Steiermärkische Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964 entscheiden. Alles andere als eine Aufhebung wäre eine große Überraschung. In der Folge müssten die Verbindungen abgerissen werden oder das Einkaufszentrum überhaupt schließen.

Die nun zuständige Landesrätin Lackner hat sich gegenüber der APA dahingehend geäußert, mit einem neuen Versuch die SCS rechtlich zu sanieren: "Es gilt, im Rahmen der bestehenden Gesetze eine Lösung zu finden, die die Arbeitsplätze für über 2.000 Beschäftigte absichert und auch die Bedeutung des Standortes für die regionale Wertschöpfung erhält." Damit kann wohl nur eine Einzelstandortverordnung gemeint sein, die bereits seit Jahren immer wieder thematisiert wird, rechtlich jedoch nicht minder problematisch ist als alle vorhergehenden untauglichen Versuche.

Zudem plant die Gemeinde Seiersberg-Pirka weitere Aktivitäten gegen die raumordnungsrechtlichen und Klimaschutz-Zielsetzungen des Landes. Auf einem 17.000 Quadratmeter großen Grundstück im Fachmarktzentrum gegenüber der SCS ist eine abermalige Erweiterung der Verkaufsflächen um einen Elektro- und Autoersatzteilmarkt geplant. Ein entsprechender Bebauungsplan liegt vor, und die Stadt Graz wird Einwendungen erheben, die den Bau jedoch nicht verhindern können. Deshalb muss das Land als Aufsichtsbehörde endlich die eigenen raumordnungsrechtlichen Zielsetzungen ernst nehmen und gegen den Bebauungsplan einschreiten.

Auch ist die Frage völlig offen, ob und wenn ja in welcher Form es für das Projekt der SCS überhaupt eine strategische Umweltprüfung nach dem Stmk. ROG gegeben hat.


Es wird daher der

Antrag

gestellt:

Der Landtag wolle beschließen:

Die Landesregierung wird aufgefordert,

1. die eigenen raumordnungsrechtlichen und Klimaschutz-Zielsetzungen zu respektieren und die Grazer Innenstadt-Wirtschaft und andere zentrumsgebundene Handelsbetriebe zu stärken,

2. zur Versachlichung der Diskussion rund um die SCS

a) aus raumordnungsrechtlichen Gründen die Einwände der Stadt Graz und die einschlägigen Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Thomas Müller, LL.M. endlich in die rechtliche Würdigung einzubeziehen,

b) aus Gründen des Klimaschutzes beim Wegener Center Graz eine Studie über die Klimaschädlichkeit von Einkaufszentren in der Peripherie im allgemeinen und der SCS im besonderen zu beauftragen, sowie darauf beruhend einen wie im Regierungsprogramm der Landesregierung vorgesehenen Klimacheck für die vorgesehene Einzelstandortverordnung vorzunehmen, und

c) dem Landtag über das Ergebnis der Strategischen Umweltprüfung nach dem Stmk. ROG zu berichten.


Unterschrift(en):
LTAbg. Lambert Schönleitner (Grüne), LTAbg. Sandra Krautwaschl (Grüne), LTAbg. Dipl.-Ing.(FH) Lara Köck (Grüne), LTAbg. Georg Schwarzl (Grüne), LTAbg. Veronika Nitsche, MBA (Grüne), LTAbg. Mag. Alexander Pinter (Grüne)