EZ/OZ: 1739/1
Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT)
eingebracht am 28.10.2021, 16:21:21
Landtagsabgeordnete(r): LTAbg. Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ), LTAbg. Dr. Werner Murgg (KPÖ)
Fraktion(en): KPÖ
Zuständiger Ausschuss: Bildung, Gesellschaft und Gesundheit
Regierungsmitglied(er): Landesrätin Dr. Juliane Bogner-Strauß, Landesrätin MMag. Barbara Eibinger-Miedl
Betreff:
Attraktivierung des Pflegeberufs
Die medizinische Versorgung, Pflege und Betreuung von Menschen ist eine schöne, aber auch eine herausfordernde und verantwortungsvolle Aufgabe. Leider gibt es immer weniger Menschen, die diesen Beruf unter den bestehenden Bedingungen ausüben wollen und können.
In der Pflege brennt der Hut: Die Personalsituation war schon vor Corona sehr angespannt. Durch die Pandemie hat sich die Situation nun noch weiter verschärft. Immer mehr Beschäftigte denken daran, aus dem Beruf auszuscheiden, weil der Druck und die Arbeitsbelastung einfach zu groß geworden sind. Die Beschäftigten leisten Großartiges – aber sie arbeiten am Limit und benötigen dringend Entlastung. Gleichzeitig fehlt der Nachwuchs. Die Neuordnung der Pflegeberufsgruppen 2016 hat die Situation weiter verschärft.
Wenn die Politik das Vertrauen der Pflegekräfte zurückgewinnen will, ist es mit Imagekampagnen nicht getan. Eine verbindliche Personalausstattung, die sich am Pflegebedarf orientiert, ist dringend notwendig. Mit guten Arbeits- und Ausbildungsbedingungen können erfahrene Fachkräfte gehalten und neue gewonnen werden. Und viele, die aufgrund der extremen Belastung in die Teilzeit geflüchtet sind, könnten wieder aufstocken.
Der Personalmangel in den Spitälern und Pflegeeinrichtung ist in Österreich eklatant. Besonders im Bereich Pflegekräfte liegt Österreich im Vergleich zu anderen EU-Staaten zurück. Laut OECD-Vergleich liegt Österreich bei der Anzahl der Pflegepersonen mit 7,7 pro 1.000 EinwohnerInnen europaweit im untersten Drittel, hinter Staaten wie Tschechien, Slowenien, Frankreich, Belgien, Irland, Luxemburg und Deutschland (12,8 Pflegekräfte pro 1.000 EinwohnerInnen).
Die Situation in der Steiermark ist besonders besorgniserregend. Es fehlen die jungen Pflegekräfte. Dies führt zu Überlastungen, vermehrten Krankenständen und infolge dessen auch zu Kündigungen bzw. einem vorzeitigen Berufsausstieg. Freie Dienstposten, zum Beispiel durch Pensionierungen, wurden nicht mehr nachbesetzt. So können zusätzlich jährlich 1,5 Prozent an Personal eingespart werden.
Neben den genannten, den Arbeitsalltag erschwerenden Faktoren werden auch die Ausfallzeiten (Urlaub, Krankenstand, Kur, Fortbildung, Karenz, etc.) in der Personalplanung zu niedrig veranschlagt, besonders, wenn man bedenkt, dass durch den psychisch und physisch anstrengenden Beruf vermehrt Krankenstände und Kuren in Anspruch genommen werden müssen. Die Arbeiterkammer geht davon aus, dass in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen die Ausfallzeit mit 30 % veranschlagt werden muss. 12 Prozent fallen dabei schon alleine für den gesetzlichen Urlaubsanspruch an. Wird die Ausfallszeit zu gering veranschlagt, können im Falle von krankheitsbedingten Ausfällen Urlaube und Zeitausgleich nicht konsumiert werden, weil dann die Dienste nicht abgedeckt und die KollegInnen noch mehr überlastet wären.
Leider existieren in der Steiermark keine verbindlichen Personalbedarfs-Untergrenzen. Die einzige gesetzliche Vorgabe zur Ermittlung des Personalbedarfes besteht derzeit gemäß § 8d KAKuG und auf Landesebene (wortgleich) § 31 StKAG. Danach sind die Krankenanstaltenträger selbst dafür zuständig, die Untergrenzen und Bedarfe festzulegen.
Eine übergeordnete Vorgabe, wie etwa in Deutschland in Form einer Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung, ist dringend notwendig. Nur dann wird es Pflegenden möglich, ihren Beruf so auszuführen, wie sie ihn erlernt haben. Nur so wird man Pflegende, die ihrem Beruf den Rücken gekehrt haben, motivieren zurückzukehren. Und nur dadurch wäre es möglich, den tatsächlichen Bedarf an Pflegekräften zu bestimmen.
Der Zusammenhang zwischen Personalschlüssel und PatientInnensicherheit ist durch internationale Studien (z.B. die europaweite Human Resources Planning in Nursing, RN4CAST) eindeutig belegt. Nur jede dritte Pflegekraft geht davon aus, dass sie sämtliche notwendigen Maßnahmen regelmäßig tatsächlich erbringen kann. 80 % der Pflegekräfte geben an, dass Mängel bei der Patientenversorgung in den letzten sieben Tagen aufgetreten sind, die auf eine zu hohe Arbeitsbelastung zurückzuführen sind.
Internationale Studien belegen, dass mit der Arbeitslast der PflegerInnen das Sterberisiko der PatientInnen steigt. Mit jedem zusätzlichen Patienten, den eine Pflegekraft versorgen muss, nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass ein chirurgischer Patient binnen 30 Tagen nach der Aufnahme stirbt, um 7 % zu (Aiken et al.).
Die KAGES veröffentlicht leider keine konkreten Zahlen zum Pflegekraft/PatientInnen-Verhältnis in ihren Einrichtungen. Aus dem Geschäftsbericht 2019, dem letzten regelrechten Vor-Corona-Jahr, ergibt sich aber folgendes Bild:
Auf 244.165 stationäre PatientInnen kamen 5.143 Diplom-Fachkräfte und 2.084 PflegehelferInnen. Das bedeutet, dass eine Pflegekraft im Schnitt 33,8-PatientInnen betreut. Das Verhältnis DGKP – PatientIn-betrug 1 : 47,5.
Zum Vergleich: Laut RN4CAST kommen auf eine Pflegefachkraft in den Niederlanden 7 PatientInnen, in Schweden 7,7 und in der Schweiz 7,9. Österreich hat an der Studie nicht teilgenommen.
Der erste Schritt wäre eine verpflichtende Dokumentation und Veröffentlichung von Kennzahlen der ArbeitnehmerInnenzufriedenheit aller öffentlichen und privaten Träger: Fluktuation, Drop-out-Rate in den ersten Monaten, Altersdurchschnitt bei Arbeitsbeginn, -beendigung, durchschnittliche Verweildauer im Beruf und dergleichen. Es braucht verbindliche Vorgaben zur Personalausstattung in Form einer Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung, die sich am Pflegebedarf und an realistischen Ausfallzeiten orientieren. Im Bereich der Langzeitpflege muss der Pflegeschlüssel dringend verbessert werden, insbesondere auch für die Nachtdienste. Nur ein ausreichender Personalschlüssel schützt die Beschäftigten vor Überforderung und ermöglicht hochqualitatives Arbeiten.
Zudem ist es in diesem Zusammenhang wichtig, dem Trend des Downgradings der Berufsgruppen entschieden entgegenzutreten. In der Steiermark wurde 2017 zum Zwecke der Kostendämpfung bei den Personalausgaben eine Verschiebung bei den Pflegeberufsgruppen vorgenommen. Das diplomierte Personal soll bis 2027 von 70 auf 50 Prozent reduziert werden, während das Pflegeassistenzpersonal von 30 % auf 50 % (22 % Pflegeassistenz, 8% Hilfsdienst, 20 % Pflegefachassistenz) angehoben wird.
Dies, obwohl Studien belegen, dass der Austausch einer diplomierten Krankenpflegekraft durch eine Hilfskraft das Sterberisiko der PatientInnen um 21 Prozent erhöht. Umgekehrt geht jede Verbesserung des „nurse skill mix“ um zehn Prozent (Anteil der diplomierten Kräfte am Gesamtpflepersonal) mit einem Rückgang der Mortalität um elf Prozent einher (Aiken et al.).
Um dem drohenden Pflegenotstand entgegenzuwirken, muss das Möglichste getan werden, um mehr Menschen im Bereich Gesundheits- und Krankenpflege auszubilden und die Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern.
Die Steiermark hat speziell bei den Ausbildungsplätzen für die gehobene Krankenpflege massiven Aufholbedarf. Derzeit werden an der Fachhochschule Joanneum etwa 220 Ausbildungsplätze für Gesundheits- und Krankenpflege angeboten. Auf diese haben sich zuletzt 457 Personen beworben. 237 BewerberInnen mussten abgewiesen werden.
Zum Vergleich: In Oberösterreich stehen 340 FH-Ausbildungsplätze zur Verfügung. In ähnlichem Ausmaß liegen etwa Tirol und Niederösterreich. Eine weitere Aufstockung ist daher dringend erforderlich, besonders da 2024 die Ausbildung für den gehobenen Dienst im alten Modus enden soll.Auch in der Steiermark wäre eine weitere Aufstockung dringend erforderlich.
Die kürzlich kolportierte Erhöhung der Ausbildungsplätze an den GuK-Schulen um 100 Plätze wird durch die kürzlich erfolgte Schließung einer Pflegeschule konterkariert. Betroffen waren mehr als 100 Personen, die auf einen Schlag ihren Ausbildungsplatz verloren haben.
Im Pflegebereich gibt es während der Ausbildung keine finanzielle Entschädigung, obwohl ungefähr 50 Prozent der Ausbildung in der Praxis stattfindet, wo bereits tatkräftig am Krankenbett mitgearbeitet wird. In anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen erhalten bereits die Auszubildenden ein Gehalt. PolizeischülerInnen etwa bekommen 1.740 Euro brutto im ersten Jahr, knapp 2.200 Euro im zweiten Ausbildungsjahr und während der Praxis 2.335 Euro. Ähnliches gilt für die Ausbildung zur Justizwache oder beim Militär. Erst 2017 wurde das Ausbildungsgehalt für diese Gruppen deutlich angehoben, um den Beruf zu attraktiveren und die Ausbildung auch für BerufsumsteigerInnen, die vielleicht schon eine Familie zu erhalten haben, interessant zu machen.
Auch im Berufsleben steht den übergroßen physischen und psychischen Belastungen im Übrigen kein entsprechendes Gehalt gegenüber. Und der Lohn steigt auch in den höheren Gehaltsstufen nicht merklich. In einen Pflegeberuf einzusteigen, muss man sich erst einmal leisten können. In einem Pflegeberuf zu bleiben, erst recht. Nicht einmal der im Juni dieses Jahres beschlossene Corona-Bonus in Höhe von durchschnittlich 500 Euro ist bisher bei den Beschäftigten angekommen.
Neben dem Einkommen ist laut einer Umfrage der Arbeiterkammer die Arbeitszeit ein wesentlicher Faktor, aus dem Beruf auszusteigen. Ständig wechselnde Schichten, unregelmäßige Dienstpläne und kurzfristiges Einspringen machen Freizeitgestaltung und Familienplanung schwer möglich. So bleibt bei vielen Pflegekräften das Gefühl auch in der Freizeit ständig auf Abruf zu sein. Mit dieser emotionalen Belastung können Menschen auf Dauer nur schwer umgehen. Viele Pflegekräfte fühlen sich dauernd erschöpft, eine Vollzeit-Tätigkeit ist oft schon physisch gar nicht möglich. Gerade ältere Menschen mit Lebens- und Berufserfahrung, die sich optimal für die Anforderungen der Pflege eignen, müssen leider aufgrund der zu hohen Belastungen zu oft den Beruf aufgeben.
Angemessene Entlohnung, auch während der Ausbildung, Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden/Woche, sechste Urlaubswoche, ein besserer Pflegeschlüssel und gute Arbeitsbedingungen sind berechtigte Forderungen der Pflegekräfte und die Mittel der Wahl, um den Personalmangel im Gesundheits- und Pflegebereich einzudämmen.
Ohne besserer Bezahlung, höherer Personalausstattung und gute Arbeitsbedingungen wird es nicht gehen. Pflege muss mehr Wert sein.
Es wird daher der
Antrag
gestellt:
Die Landesregierung wird aufgefordert, als Maßnahmen gegen den Pflegenotstand die berechtigten Forderungen der Beschäftigten umzusetzen bzw. zu vertreten:
- Deutliche Aufstockung der Ausbildungsplätze für Pflegeberufe, insbesondere auch für gehobene Pflege und an der Fachhochschule,
- faire Bezahlung in der Ausbildung, während des Praktikums und im Berufsleben,
- verpflichtende Dokumentation und Veröffentlichung von Kennzahlen der ArbeitnehmerInnenzufriedenheit aller öffentlichen und privaten Träger,
- Festsetzung verbindlicher Personaluntergrenzen für die stationäre Gesundheitsversorgung, die sich am tatsächlichen Bedarf und an realistischen Ausfallzeiten orientieren,
- Verbesserung des Pflegeschlüssels in der stationären Langzeitpflege auf Wiener Niveau,
- Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie eine sechste Urlaubswoche.
Unterschrift(en):
LTAbg. Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ), LTAbg. Dr. Werner Murgg (KPÖ)