TOP 13
EZ/OZ 613/5
Schriftlicher Bericht
Ausschuss: Gemeinden und Regionen
Betreff:
Prüfung einer möglichen obersteirischen Statutarstadt
zu:
EZ 613/1, Prüfung einer möglichen obersteirischen Statutarstadt (Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT))
Der Ausschuss "Gemeinden und Regionen" hat in seiner Sitzung am Dienstag, dem 06.10.2020 über den oben angeführten Gegenstand die Beratungen durchgeführt.
Mit Beschluss des Ausschusses für Gemeinden und Regionen vom 30.06.2020 wurde die Steiermärkische Landesregierung ersucht eine Stellungnahme zum Antrag, Einl.Zahl 613/1, betreffend „Prüfung einer möglichen obersteirischen Statutarstadt“, abzugeben.
Aufgrund dieses Beschlusses erstattet die Steiermärkische Landesregierung folgende Stellungnahme:
Zum Thema Gemeindefusion:
Im Zuge der Steiermärkischen Gemeindestrukturreform 2015 wurde das Leitbild „Stärkere Gemeinden – größere Chancen“ erarbeitet, das im abgestuften Entscheidungsprozess die wichtigste Grundlage für die Entwicklung einer sachgerechten Gebietsreform darstellte.
Als oberstes Ziel in diesem Leitbild wurde die Stärkung der zukünftigen Leistungsfähigkeit der Gemeinden zur Erfüllung der ihnen zugedachten Aufgaben und Funktionen zum Wohle der Bevölkerung genannt. Die Gemeinden müssen dauerhaft in der Lage sein, ihre Aufgaben sachgerecht, effizient und in entsprechender Qualität zu erfüllen. Auf Basis dieser Ziele und bestimmter im Leitbild dargestellter Kriterien wurde eine entsprechende Gemeindelandkarte ausgearbeitet, welche in vielen Gesprächen mit den Gemeinden diskutiert wurde. Letztlich wurde die größte Gebietsreform in der Steiermark seit 1945 zur Umsetzung gebracht (vgl. die umfassende Darstellung in dem Fachbuch „Steiermärkische Gemeindestrukturreform 2015, Ablauf und rechtliche Umsetzung der größten Gebietsreform in der Steiermark seit 1945“ von Wlattnig/Kindermann/Hörmann).
Im Zuge der Erstellung der neuen Gemeindelandkarte auf Basis des Leitbildes wurden die im Antrag bzw. in der Begründung des Antrages genannten Gemeinden Bruck an der Mur, Kapfenberg, Leoben, St. Marein im Mürztal, Kindberg und St. Lorenzen im Mürztal als selbständig bleibende Gemeinden erkannt, die ihre in der Bundesverfassung zugeordneten Aufgaben auch ohne Fusion bewältigen können. Bei jenen Gemeinden, die laut Leitbild eigenständig bleiben konnten, kam bereits bei der Gemeindestrukturreform 2015 nur eine freiwillige Fusion in Betracht.
An der Haltung des Landes, dass nach dem Leitbild zur Gemeindestrukturreform eigenständig bleibende Gemeinden nur über freiwilligen Beschluss der jeweiligen Gemeinderäte fusioniert werden, hat sich nichts geändert.
Zum Thema „Verleihung des Stadtrechts“:
In der Steiermark hat bisher eine einzige Gemeinde, nämlich die Landeshauptstadt Graz, ein eigenes Statut. Verbunden mit der Einrichtung einer Stadt mit eigenem Statut ist die Schaffung eines von der allgemeinen Gemeindeordnung abweichenden Sondergemeinderechts. Darüber hinaus hat die Verleihung eines eigenen Statuts (Stadtrechts) die Folge, dass nach Art. 116 Abs. 3 B-VG diese Städte auch die Agenden der staatlichen Bezirksverwaltung zu erledigen haben.
Das hätte, insbesondere bei der Fusionierung der in der Begründung genannten Gemeinden von Kapfenberg bis Leoben, zur Folge, dass für dieses großflächige Siedlungsgebiet die Bezirkshauptmannschaften Bruck/Mürzzuschlag sowie Leoben keine Zuständigkeit mehr haben und die neue Stadt mit eigenem Statut neben der in der Verfassung zugeordneten Gemeindeaufgaben auch die Agenden der Bezirksverwaltungsbehörde zu übernehmen hätte.
Aufgrund der räumlichen Ausdehnung einer derartigen Gemeinde käme diese einer sogenannten „Gebietsgemeinde“ nahe, die in Art. 120 B-VG nur rudimentär geregelt ist. Dem Konzept des provisorischen Gemeindegesetzes 1849 folgend, verstand das B-VG 1920 unter Gebietsgemeinden, höhere, mehrere Ortsgemeinden zusammenfassende Gebietskörperschaften, die sich aus hierarchischer Sicht zwischen Ortsgemeinden und Land schieben sollten (vgl. Kahl in Kneihs/Lienbacher, Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, Art. 120-BVG, Rz 1 ff).
Der Verfassungsgesetzgeber hat die Festsetzung der weiteren Grundsätze einem eigenen Bundesverfassungsgesetz vorbehalten, das aber nie erlassen wurde. Art. 120 B-VG enthält daher keine weiteren Regelungen, die für eine Gebietsgemeinde dieser räumlichen Ausdehnung mit einer gemeindlichen Selbstverwaltung im Rahmen einer demokratisch organisierten Bezirksverwaltung notwendig wären.
Nach Ansicht von namhaften Verfassungsexperten wäre daher die Gliederung eines Landes in Großgemeinden, die zu Statutarstädten erhoben werden, verfassungswidrig. Folgt man dieser Meinung, könnte eine Umgehung von Art. 120 B-VG dann vorliegen, wenn mehrere räumlich weit auseinanderliegende Gemeinden zusammengelegt werden und diese neugeschaffene Großgemeinde zu einer Stadt mit eigenem Statut erhoben wird. Ähnliches gilt, wenn in eine Stadtgemeinde, die bereits zur Stadt mit eigenem Statut erhoben wurde, Umlandgemeinden eingegliedert werden, die räumlich relativ weit entfernt sind. In beiden Fällen würden Konstruktionen vorliegen, die den Charakter von Gebietsgemeinden im Sinne von Art. 120 B-VG einnehmen könnten, welche nach dieser Bestimmung aber erst durch Verfassungsgesetz einzurichten wären (vgl. Michael Holoubek/Michael Potacs/Sebastian Scholz, Art. 120 B-VG als Instrument der Gemeindekooperation? in „Gemeindekooperationen – vom Kirchturmdenken zur vernetzten Region“, Tagungsband 2012 der Kommunalwissenschaftlichen Gesellschaft, S 56 ff).
Zusammenfassend vertritt daher die Landesregierung - auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit - die Auffassung, dass die im Antrag angesprochene Gemeindevereinigungskonstellation nur dann einer näheren Prüfung unter Beiziehung von Experten durch die Landesregierung unterzogen werden sollte, wenn dies von den beteiligten Gemeinden gewünscht wird.
Es wird daher der
Antrag
gestellt:
Der Landtag wolle beschließen:
Der Bericht des Ausschusses für Gemeinden und Regionen zum Antrag, EZ 613/1, "Prüfung einer möglichen obersteirischen Statutarstadt", der Abgeordneten der NEOS wird zur Kenntnis genommen.
Der Obmann:
LTAbg. Erwin Dirnberger