EZ/OZ: 391/1
Selbstständiger Antrag von Abgeordneten (§ 21 GeoLT)
eingebracht am 12.03.2020, 09:54:27
Landtagsabgeordnete(r): LTAbg. Sandra Krautwaschl (Grüne), LTAbg. Georg Schwarzl (Grüne), LTAbg. Lambert Schönleitner (Grüne), LTAbg. Dipl.-Ing.(FH) Lara Köck (Grüne), LTAbg. Veronika Nitsche, MBA (Grüne), LTAbg. Mag. Alexander Pinter (Grüne)
Fraktion(en): Grüne
Zuständiger Ausschuss: Bildung, Gesellschaft und Gesundheit
Regierungsmitglied(er): Landesrätin Dr. Juliane Bogner-Strauß
Betreff:
Mobile Dienste in der Pflege massiv ausbauen und Umstieg von gewinnorientierten Pflegeheim-Konzernen zu Gemeinnützigkeit
Der Bericht des Rechnungshofes „Pflege in Österreich“ (02.2020) weist erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern aus.
Für die Steiermark zeigt der Bericht auf, dass man im Spitzenfeld bei der stationären Pflege und insbesondere bei gewinnorientierten Pflegeheimen liegt und bei der mobilen Pflege Schlusslicht unter den Bundesländern ist. Es sollte genau umgekehrt sein. Eine jahrzehntelange Fehlsteuerung führt zu hohen Kosten und geringer Bedarfsorientierung.
Die mobilen Dienste unterschieden sich zwischen den Ländern sowohl hinsichtlich der Betreuungsdichte, des –umfangs und der –intensität, hält der Rechnungshof fest:
• Der Anteil der betreuten Personen an allen Pflegegeldbeziehenden (Betreuungsdichte) lag zwischen rund 21 % in der Steiermark (Schlusslicht) über 32% in Wien, bis zu 34 % in Tirol und 42% in Vorarlberg. Der österreichweite Schnitt lag bei 29%.
• Im Österreichschnitt entfielen auf eine mobil betreute Person 2,3 Leistungsstunden je Woche, wobei die Bandbreite zwischen 1,2 Leistungsstunden im Burgenland und 1,3 Leistungsstunden in der Steiermark – den beiden Schlusslichtern - bis zu rund 4 Leistungsstunden in Wien lag (Betreuungsintensität).
• Auf eine pflegegeldbeziehende Person, die nicht bereits in einem Pflegeheim oder durch 24–Stunden–Betreuung versorgt war, entfiel im Österreichschnitt je Woche rund eine Stunde mobile und teilstationäre Leistungen (zwischen 0,5 Stunden im Burgenland und der Steiermark, den beiden Schlusslichtern, und rund zwei Stunden in Wien).
Der RH wies insbesondere darauf hin, „dass die mobilen Dienste nach den Zielsetzungen des Bundes große Bedeutung im Hinblick auf die Vermeidung stationärer Aufenthalte hatten.“
Es ist deshalb höchste Zeit für einen Kurswechsel in der Steiermark.
Im Bereich der stationären Pflege, das in der Steiermark von gewinnorientierten Pflegeheimen getragen wird, sieht der Rechnungshof einige Besonderheiten:
„Das Land Steiermark verwendete seit 2006 ein Normkostenmodell, bei dem – unabhängig von den tatsächlichen Kosten der Leistungserbringer – bestimmten Kategorien normativ bestimmte Kosten zugeordnet waren. Gutachten dazu zeigten, dass eine Unterschreitung der Kosten möglich war bzw. nicht sichergestellt war, dass die Heime alle Leistungen auch tatsächlich wie kalkuliert erbrachten. Wesentliche Problemfelder betrafen zu geringe Abschreibungsdauern, zu hohe angenommene Errichtungskosten, die Overhead–Kosten (z.B. Buchhaltung, Heimleitung) und Kosten für fremdvergebene Leistungen (z.B. Küche, Wäsche, Reinigung). Dem Land Steiermark dazu vorliegenden Kalkulationen zufolge würden die Tarifzahlungen gemäß dem Normkostenmodell 2006 über den tatsächlichen Kosten der Heimbetreiber liegen. Eine systematische Analyse des Landes darüber fehlte, u.a. weil die Heimbetreiber dem Land keine Gebarungsdaten bereitzustellen hatten. In der Folge valorisierte die Steiermark die Tarife nicht; ab dem 1. Jänner 2019 galt ein neues Modell. Dabei erreichte die Steiermark keine Tarifreduktion, verpflichtete jedoch die Heimträger, regelmäßig und anonymisiert ihre Ist– Kosten bekannt zu geben. Weiters beschrieb das Land detaillierter die zu erbringenden Leistungen. Betriebswirtschaftlich waren im Verhandlungsergebnis einige Besonderheiten enthalten (z.B. eine Vergütung der Kommunalsteuer auch für jene Heimbetreiber, die diese gar nicht zu bezahlen hatten, oder eine Vergütung von flächenbezogenen Kosten auf Basis einer Mindestgröße, selbst wenn diese nicht eingehalten war).“ (S. 86)
Die Kosten für die stationäre Pflege fressen den Spielraum für den Ausbau mobiler Dienste immer weiter auf: Mit einem Nachtragsbudget für das Jahr 2018 wurden über 50 Mio. € in der stationären Langzeitpflege nachbudgetiert. Allein diese zusätzlichen Mittel waren höher als die gesamten Ausgaben für die mobile Pflege im Landesbudget 2019 in der Höhe von 37 Mio. €. So kann es nicht mehr weitergehen. Die hohe Bettenlastigkeit im steirischen Pflegesystem ist ein langjähriges politisches Versagen, das spätestens mit dem unkontrollierten Bau von privaten gewinnorientierten Pflegeheimen begonnen hat.
Der im Vergleich mit anderen Bundesländern einmalige Wildwuchs an privat geführten gewinnorientierten Pflegeheimen (in der Steiermark gibt es Stand 2016 nur 65 gemeinnützige und 36 öffentliche Heime, aber 124 privatgewerbliche Heime) belegt nicht nur das Planungschaos der Vergangenheit, sondern hat für die Zukunft Fakten geschaffen, die eine Umsteuerung erschweren. Es bräuchte jedoch dringend einen Ausbau der mobilen Pflege und der mobilen Remobilisierung, um die benötigte Bettenanzahl zu reduzieren. Das wäre nicht nur bedarfsgerechter, sondern auch kostengünstiger. Mobile Pflege- und Betreuungsdienste nehmen in der Steiermark durchschnittlich nur 6,9 % der über 65jährigen Personen in
Anspruch. Bei der Inanspruchnahme gibt es zudem erhebliche regionale Unterschiede: So sind es im Bezirk Voitsberg nur 5%, im Bezirk Weiz 9,1%.
Im Jahr 2016 wurden fast 18.000 Personen in den steirischen Pflegeheimen betreut. Die Steigerung der Bewohnerinnen- und Bewohnersumme betrug von 2014 auf 2015 1,5 Prozent und von 2015 auf 2016 2,5 Prozent (siehe Versorgungsbericht 2015, Betreuungs- und Pflegedienste für ältere Menschen in der Steiermark). Die Abschaffung des Pflegeregresses zum 1.1.2018 hat zusätzlich Auswirkungen auf die Belegung der Einrichtungen in der Steiermark, gleichzeitig mangelt es jedoch zunehmend an Pflegepersonal, sodass nicht alle Betten besetzt werden können.
Der "Bedarfs- und Entwicklungsplan für pflegebedürftige Personen - 2025" spricht noch davon, dass der Bedarf für klassische Heimplätze mit 12.100 abgedeckt wäre. Die Bedarfsentwicklung wurde jedenfalls gänzlich anders eingeschätzt, es wurde sogar davon ausgegangen, dass durch den Auf- und Ausbau mobiler Pflege bis 2025 ein Überangebot an bewilligten Betten bestehen würde: "Für die Planung der stationären Betreuung und Pflege bis zum Jahr 2025 werden als Ausgangsbasis die letztaktuellen Strukturkennziffern (12.926 bewilligte Betten nach PHG in steirischen Pflegeheimen, Stichtag 31.10.2014) des Jahres 2014 verwendet, um bereits erfolgte Bescheide zu berücksichtigten. Ohne die erwähnten Anpassungsmaßnahmen würde aus dem Fortschreiben der momentan hohen Versorgungsdichte und dem erwarteten Anstieg an pflegebedürftigen Personen eine deutliche Steigerung der Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner bis 2025 resultieren (+23 % Steigerung bis 2025, ca. 13.754 prognostiziere Personen). Jedoch wird dieser Steigerung entgegengewirkt. Durch Reduktion der bestehenden Belegungen mit Personen ohne Pflegegeldbezug bzw. mit Pflegegeldbezug der Stufen 1 und 2, Varianzausgleich in der Versorgungsdichte sowie der Stärkung nicht-stationärer Betreuungsangebote wird die Zahl der 2025 in Pflegeheimen zu betreuenden Personen um lediglich 3,2 % steigen. Das bedeutet, wenn im Jahr 2025 alle nach PHG bewilligten Betten tatsächlich zur Verfügung stehen, besteht eine Überkapazität von ca. 837 Betten in der stationären Langzeitpflege. Diese Überkapazität stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. In den Bezirken Hartberg-Fürstenfeld, Leibnitz und Murtal besteht ein Bettenbedarf, während in allen anderen Bezirken sowie dem Großraum Graz eine Überversorgung besteht. Diese Kapazitäten sollen den Grundstock für den schrittweisen Aufbau der Kurzzeitpflege bilden und werden deswegen in anderer Form weiterhin gebraucht werden."
Jetzt ist es genau umgekehrt: Durch die Versäumnisse beim Auf- und Ausbau mobiler Pflege entsteht ein Unterangebot an Pflegeheimplätzen und damit großer Druck auf Investitionen in falsche Strukturen, die wiederum die Umsteuerungsmöglichkeiten für die Zukunft belasten und begrenzen. Genau so sollte verantwortungsvolle Politik für die Zukunft nicht funktionieren.
Im Landesbudget 2019 waren für die stationäre Pflege Ausgaben von 321 Mio. € vorgesehen. Für die mobile Pflege waren es wie angeführt nur 37 Mio. €. Es steht zu befürchten, dass die Entwicklung genau in die falsche Richtung geht und der erforderliche massive Ausbau der mobilen Pflege nicht stattfindet, weil der kurzfristig gestiegene Bedarf an Pflegeheimplätzen Fakten schafft. Das Nachtragsbudget 2018 belegt die Fehlsteuerung.
Das Notwendige scheint immer schwerer umsetzbar: Wie kann es vor dem Hintergrund des deutlichen Zuwachses an Pflegeheimplätzen gelingen, die mobile Pflege so auszubauen, dass der Bedarf an Pflegeheimplätzen in Zukunft wieder sinkt? Und welche Investitionen in die mobile Pflege werden erforderlich sein, damit der Bedarf an Pflegeheimplätzen sinken wird?
In einem Bereich, in dem Menschen vor der Situation stehen, sich mobile Pflege kaum leisten zu können und die Bedingungen und der Personalschlüssel (nach wie vor) nicht dem entsprechen, was man sich als wünschenswert und gleichzeitig machbar vorstellt, kann es doch nicht sein, dass so wenig Interesse an einer Umsteuerung im Pflegebereich zulasten der Strukturen gewinnorientierter Pflege besteht.
Eine Umfrage des market Instituts (November 2017) zeigte wieder einmal: Die Menschen wollen im Alter nicht in ein Pflegeheim (siehe https://kurier.at/chronik/oesterreich/zukunftsaengste-der-senioren-pflege-demenz-unselbststaendigkeit/298.982.829). Es müssten endlich alternative Angebote kostengünstiger zur Verfügung gestellt werden. Solange auf der einen Seite das mangelnde Angebot und die immer argumentierte Unfinanzierbarkeit des Pflegesektors als Ursache dafür angeführt werden, ist es absurd, Gewinne von Pflegeheimen nicht steuernd für die Pflege einzusetzen. Das ist ein verantwortungsloser Umgang mit unserem Steuergeld.
Es wird daher der
Antrag
gestellt:
Der Landtag wolle beschließen:
Die Landesregierung wird aufgefordert,
1. Angebote der Pflege auf Basis der Ermittlung des individuellen Pflegebedarfs flexibel einzusetzen und zu diesem Zweck die moblie Pflege und Tagesbetreuung massiv auszubauen, damit der Bedarf an Pflegeheimplätzen nachhaltig sinkt,
2. Gerechtigkeit für pflegende Angehörige durch einen Rechtsanspruch auf familiententlastende Dienste zu schaffen,
3. gewinnorientierte Strukturen in der stationären Pflege nach und nach zugunsten gemeinnütziger Anbieter zurückzudrängen und zu diesem Zwecke ein Ausstiegsszenario zu erarbeiten, sowie
4. dem Landtag regelmäßig über den strukturellen Umbau des Pflegesystems in der Steiermark Bericht zu erstatten.
Unterschrift(en):
LTAbg. Sandra Krautwaschl (Grüne), LTAbg. Georg Schwarzl (Grüne), LTAbg. Lambert Schönleitner (Grüne), LTAbg. Dipl.-Ing.(FH) Lara Köck (Grüne), LTAbg. Veronika Nitsche, MBA (Grüne), LTAbg. Mag. Alexander Pinter (Grüne)